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Original: Musume, tsuma, haha (1960) von Mikio Naruse

Unmittelbar nach When a woman ascends the stairs erschien Naruses zweite große Studioproduktion des Jahres 1960. Offenbar wollte Toho nichts anbrennen lassen und schickte ein Star-Aufgebot ins Rennen, das sich wie ein Who is who liest: Setsuko Hara, Hideko Takamine, Tatsuya Nakadai, Masayuki Mori, Reiko Dan, Ken Uehara, Haruko Sugimura, Daisuke Kato und in einer kleinen Nebenrolle auch noch Chishu Ryu bevölkern Daughters, Wives and a mother mit einer außergewöhnlichen Ansammlung von Talenten.

Screenshot Daughters Wives 3

Diese großen Namen sind alle in einer Familiengeschichte untergebracht, die ein bisschen wirkt als wäre Dallas ins Japan der Nachkriegszeit versetzt worden: Nach dem Tod ihres Mannes kehrt Sanae (Setsuko Hara) in ihr Elternhaus zurück, in dem jetzt €“ wie es in Japan Tradition ist €“ ihr ältester Bruder Yuichi (Masayuki Mori) das Sagen hat. Er, seine Frau Kazuko (Hideko Takamine), die Kinder und die verwitwete Großmutter nehmen die Tante gerne auf, nicht zuletzt weil sie dank der Lebensversicherung ihres Mannes auf einer Million Yen sitzt. Und an dieses Geld wollen sie alle ran: Vorneweg Yuichi selbst, der viel Geld in die Firma des Patenonkels seiner Frau steckte und dafür mehrere Hypotheken aufnehmen musste. Auch Sanaes jüngere Schwester Kaoru bittet um ein Darlehen, um endlich ein Apartment kaufen und aus dem Haus ihrer verhassten Schwiegermutter ausziehen zu können.

Nebenbei versucht die Familie auch noch mit vereinten Kräften, Sanae bald wieder unter die Haube zu bringen. Bei einem Ausflug mit ihren jüngeren Geschwistern lernt sie den Winzer Shingo (Tatsuya Nakadai) kennen, der sich vom Fleck weg in Sanae verliebt, obwohl er deutlich jünger ist als sie. Außerdem gibt es noch einen etwas reiferen Anwärter aus einer reichen Familie aus Kyoto. Als plötzlich jedoch die Firma, in die Yuichi sein ganzes Geld gesteckt hat, pleite geht, dreht sich wieder alles ums Geld: Das Familienanwesen muss verkauft werden €“ und nun wollen auch die jüngeren Geschwister Haruko (Reiko Dan) und Reiji (Akira Takarada) ihren Anteil einstreichen. Nur wer kümmert sich dann um Oma? Und wird Sanae den jungen, attraktiven Shingo heiraten? Oder doch den silberhaarigen, reifen Herrn aus Kyoto?

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Wer Naruses Filme kennt, kann sich das Ende vom Lied sicher ohne große Schwierigkeiten denken; der Film besticht nicht gerade durch überraschende Wendungen. Die mit Abstand interessanteste Idee ist die Affäre zwischen der 40jährigen Hara und dem 12 Jahre jüngeren, aufsteigenden Superstar Nakadai (eine kurze Kussszene der beiden scheint auch das zentrale Marketingvehikel des Films gewesen zu sein). Eigentlich entspricht die Sanae ziemlich genau der typischen Hara-Rolle: Alleinstehende, gutmütige Frau, die eingebettet in die Familie ihr Schicksal erträgt. Nur, dass sich dieses Mal eine Alternative bietet und sie diese sogar ein kleines bisschen auskostet, bevor sie sich letztlich für den €žangemessenen€œ Weg entscheidet.

Da es neben Sanae noch sage und schreibe 15 (!) weitere Haupt- und Nebencharaktere gibt, bleiben neben der Handlung auch die meisten der Figuren berechenbar und erreichen bei weitem nicht die Tiefe, die man sonst von Naruse gewohnt ist. Der Vergleich mit When a woman ascends the stairs drängt sich auf, in dem sich alles auf Hideko Takamine in der Rolle der Bardame Keiko und deren Verhältnis zu drei, vier Männern konzentriert: Hier schafft Naruse einen außergewöhnlichen, faszinierenden und vielschichtigen Charakter. In Daughters, Wives and a mother dagegen bleibt ihm die meiste Zeit nicht viel anderes übrig, als Schablonen vor der Kamera hin und her zu schieben.

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Auch in anderer Hinsicht sind die Unterschiede zwischen diesen beiden unmittelbar nach einander entstandenen Filmen frappierend. Daughters, Wives and a mother ist ein stark von Braun- und Grüntönen dominierter Farbfilm, der sich überwiegend zwischen Küche und Esstisch abspielt. When a woman ascends the stairs drehte Naruse dagegen in kontrastreichem Schwarzweiss und zeigt darin mit den lauten, turbulenten Nachtclubs eine völlig andere Welt.

Dass er sich dazu auch jeweils anderer visueller Stile bedient, verdeutlichen schon die Eröffnungstitel: Auf der einen Seite klassisch-melodramatische Orchestermusik sowie ein mit Sackleinen bezogener Hintergrund, bei dem man glatt glaubt, in einem Ozu gelandet zu sein und auf der anderen eine von swingender Barmusik hinterlegte moderne Collage. Naruse legt mit diesen beiden Filmen also einen veritablen Spagat hin: Daughters, Wives and a mother ist in fast jeder Hinsicht das Gegenteil von When a woman ascends the stairs, was für mich die Flexibilität und Vielseitigkeit des Regisseurs belegt.

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Denn Daughters, Wives and a mother (wie oft habe ich den Filmtitel eigentlich schon genannt?) ist beileibe kein schlechter Film. Auch wenn Handlung und Charaktere nicht kaum über Mittelmaß hinauskommen und wenig inspiriert wirken, so hat er bei allen Gegensätzlichkeiten doch eines mit When a woman ascends the stairs gemein, nämlich den Charakter einer Studie.  Hier allerdings steht nicht ein einzelner Hauptcharakter im Mittelpunkt sondern Naruse erweitert den Fokus gleich auf eine ganze japanische Großfamilie, die zunächst ganz dem Ideal zu entsprechen scheint. Mit seiner gewohnten Aufmerksamkeit für die kleinen Alltagskonflikte um Geld, familiäre Zwänge und menschliche Schwächen zeigt er dann in einer außergewöhnlichen Studie den Zerfall dieses Ideals einer generationenübergreifenden Gemeinschaft.

Besonders das Schicksal der beiden Großmütter, die nicht mehr in das moderne, eigenständige Leben ihrer Kinder passen, bekommt zum Ende des Films hin viel Raum, inklusive eines Besuchs in einem Seniorenheim. Schlussendlich bleibt das Schicksal der beiden aber im Unklaren, es wird nicht aufgelöst, ob die Kinder sich der Eltern €žentledigen€œ oder ihrer traditionellen Verantwortung gerecht werden. Auch ob sich die Kinder in den finanziellen Fragen doch noch einigen konnten, oder ob der Zusammenhalt der Familie daran zerbricht, bleibt offen.

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Davon abgesehen bietet der Film natürlich auch einige exzellente darstellerische Leistungen, ist ja auch kein Wunder bei der Masse an Talent, das hier gecastet wurde. Besonders Haruko Sugimura hat mich mal wieder komplett von den Socken gerissen €“ sie ist einfach brilliant als Schwiegermutter-Drache, der der Schwiegertochter das Leben zur Hölle macht! Wie sie mit heruntergezogenen Mundwinkeln, missbilligendem Blick und nörgelndem Tonfall innerhalb von Sekunden einen Charakter ausformt, ist einfach der Hammer!

Für das Verständnis von Naruses Themen und Anliegen ist Daughters, Wives and a mother zweifellos ein wichtiger Film. Zugleich belegt dieser auch die vielseitigen Fähigkeiten des Regisseurs gerade unter erschwerten Bedingungen (ich sage nur 16 Charaktere, die meisten gespielt von etablierten Stars!). Aber dem Film fehlt der Drive, die Spannung und auch die Laufzeit von mehr als zwei Stunden können nicht darüber hinwegtäuschen, dass er ist einfach überladen ist.

Original: Onna ga kaidan wo agaru toki, (1960) von Mikio Naruse

1960 war ein sehr produktives Jahr für Naruse, nicht weniger als vier Filme brachte er auf die Leinwand. Bei zwei dieser Filme bietet sich ein direkter Vergleich an, um das Spannungsfeld, in dem Naruse arbeitete, zu verdeutlichen. Los geht’s mit When a woman ascends the stairs, seinem wahrscheinlich bekanntesten Werk überhaupt, der zweite Teil ist dann die Rezension zu Daughters, wives and a mother.

Keiko (Hideko Takamine), eine junge Witwe, arbeitet als Barhostess in Ginza. Jeden Tag steigt sie die Stufen zur Bar hinauf und überwindet sich, den verhassten Job zu tun. Sie ist gut, sehr gut, aber ihre etwas konservativen Ansichten und die Weigerung, mit Kunden intim zu werden, verhindern größeren finanziellen Erfolg. Doch genau diese Distanziertheit, um nicht zu sagen „Unbeflecktheit“, macht auch einen Teil ihrer Anziehungskraft aus und bringt ihr bei ihren Kolleginnen, Kunden und dem Barmanager Komatsu (Tatsuya Nakadai) Respekt und Anerkennung. Ihre einzigen möglichen Auswege aus dem verhassten Hostessen-Leben wären die Ehe oder eine eigene Bar, doch die Versuche, das Geld für die Bar zusammen zu bekommen, scheitern an ihrer Weigerung, reichen Kunden zu Willen zu sein – und daran, dass sie nebenbei auch noch ihre Familie unterstützt.

Dann ergibt sich plötzlich die lang ersehnte Gelegenheit: Ein Kunde, mit dem sie sich gut versteht, hält um ihre Hand an. Doch Keikos Freude ist kurz: Sie muss erfahren, dass ihr Ehemann in spe ein verheirateter, mittelloser Schwindler ist, der ständig anderen Frauen Heiratsanträge macht. Für Keiko bricht eine Welt zusammen, sie fühlt sich gedemütigt, die Situation ist hoffnungsloser als je zuvor. In ihrer Verzweiflung betrinkt sie sich und öffnet Fujisaki (Masayuki Mori), einem alten Kunden den sie wirklich liebt, ihr Herz. Auch er gesteht ihr seine Liebe und entgegen all ihrer Prinzipien verbringt sie die Nacht mit ihm.

Doch der nächste Nackenschlag folgt postwendend: Fujisaki erklärt Keiko, dass er am nächsten Tag nach Osaka versetzt wird und dass er nicht den Mut hat, seine Familie ihr zuliebe aufzugeben. Nun ist sie völlig alleingelassen, hat noch dazu ihre Überzeugungen und Prinzipien aufgegeben und dadurch auch den Respekt und die Wertschätzung von Komatsu verspielt, der sie bei ihren Plänen immer unterstützt hatte. Schließlich fügt sie sich in ihr Schicksal: Sie verabschiedet sich am Bahnhof respektvoll und höflich von Fujisaki, und steigt die Stufen zur Bar hinauf, wo sie lächelnd die Kunden begrüßt.

When a Woman Ascends the Stairs ist neben Mother der beste Naruse, den ich bisher gesehen habe. Neben der vertrauten Thematik einer Frau, die versucht, ihrem Schicksal zu entrinnen, aber von sozialer Verantwortung (für ihre Familie), ausbeuterischen Systemen (der geldeintreibenden Barbesitzerin) und ihren eigenen Gefühlen (die von Männern ausgenutzt werden) daran gehindert wird, finden sich auch hier wieder großartig gezeichnete, absolut glaubhafte Charaktere. Trotz der Art, wie Keiko von den Männern und ihrer eigenen Familie behandelt wird, kann man ihnen nie wirklich böse sein, weil sie selbst nicht aus Bösartigkeit heraus handeln sondern selbst Gefesselte sind, die aus einer situationsgebundenen Notwendigkeit heraus das tun, was von ihnen erwartet wird.

Stellvertretend dafür steht ihre Familie, die nur das nach außen hin luxuriöse Leben sieht, das Keiko führt, und nicht begreifen will, dass dies zum einen hart erarbeitet ist, und sie zum andern darauf überhaupt nichts gibt. Statt Unterstützung und Verständnis hört sie von ihrer Familie nur Vorwürfe und Aufforderungen, zu helfen, etwa bei der notwendigen Operation ihres an Polio erkrankten Neffen. Und selbstverständlich gibt sie dem Drängen nach, ordnet ihre eigenen Pläne und ihr individuelles Streben nach Glück den Bedürfnissen der Familie unter.

Dieses Gefangensein in gesellschaftlichen Zwängen, persönlichen Erwartungen und zwischenmenschlichen Rollen ist das große Thema Naruses, und in keinem anderen seiner Filme hat er dies so kristallklar auf den Punkt gebracht, gerade auch visuell. Denn in vielen seiner Filme werden seine Charaktere in enge Gassen und dunkle Korridore gezwängt, doch das Bild der langsam die Treppe hinaufsteigenden Keiko erinnert wie kein anderes an ein düsteres Gefängnis, ja, an den Aufstieg zum Schafott.

Damit sind wir auch schon bei einem der Faktoren, die When a woman ascends the stairs zu einem selbst für Naruse herausragenden Film machen. Die meisten seiner Filme sind nämlich relativ „unscheinbar“ in dem Sinne, dass sie nicht durch eine spektakuläre, bemerkenswerte Bildsprache gekennzeichnet sind. Hier dagegen nutzen Naruse und sein Kameramann Masao Tamai das Widescreen-Format für brillante Kompositionen und beeindruckende Bilder, von denen sich mir einige unauslöschlich ins Gedächtnis eingebrannt haben.

Ein weiteres Beispiel dafür wäre die Szene, in der Keiko durch die Frau ihres „Bräutigams“ von dem Heiratsschwindel erfährt, dem sie aufgesessen ist. Zunächst sehen wir die beiden sich unterhaltenden Frauen in der Halbtotalen, dann Keiko in Großaufnahme, wie sie realisiert, dass sie gedemütigt wurde, dass alle Hoffnungen und ihre Freude auf Lügen basierten. Schnitt auf eine Totale, die beiden Frauen mitten in einer kargen Industriebrache, rauchende Schornsteine im Hintergrund: Symbol für Keikos Isolation, Einsamkeit, Verzweiflung und die Ausweglosigkeit ihrer Situation. Ein echter Gänsehaut-Moment!

Gleiches gilt natürlich die Schlussszene, als Keiko wie unter einem tonnenschweren Gewicht leidend die Treppenstufen zur Bar und damit zurück in ihr altes, verhasstes Leben hinaufsteigt, die Tür öffnet und aus dem Nichts das bezauberndste Lächeln aufsetzt, das man sich vorstellen kann.

[Hinweis: Dies ist die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Artikels, der ursprünglich am 9. März 2007 gepostet wurde.]

Original: Ukigumo (1955) von Mikio Naruse

1946, viele Japaner kehren aus den während des Krieges besetzten Überseegebieten zurück. Darunter auch Yukiko (Hideko Takamine), die in Indochina ein Verhältnis mit dem verheirateten Tomioka (Masayuki Mori) begonnen hatte, den sie jetzt wieder sucht. Er lebt wieder bei seiner Frau und kämpft im zerstörten Japan um seine Existenz. Trotzdem lebt die Affäre der beiden erneut auf, sie unternehmen sogar gemeinsame Reisen.

Die Einstellung der beiden zu ihrer ohnehin schwierigen Beziehung ist jedoch grundverschieden. Während Tomioka Yukiko alles bedeutet, ist er vage, geht immer wieder auf Distanz und hat noch andere Affären. Sein unsteter Lebenswandel, seine Unfähigkeit, eine geregelte Arbeit zu finden, zerren zusätzlich an ihrer Beziehung und stellen diese immer wieder auf die Probe. Als er nach dem Tod seiner Frau eine Stelle auf einer abgelegenen Insel annimmt und Yukiko ihn dorthin begleitet, und die beiden gewissermaßen wieder am Ausgangspunkt ihrer Beziehung angelangt sind, scheint es für einen Moment, als würde sich alles zum Guten wenden können. Doch auf der Reise erkrankt Yukiko und stirbt bald darauf. Zu spät realisiert Tomioka, was er an ihr hatte.

Floating Clouds ist in vielfacher Hinsicht ein sehr ungewöhnlicher Film für Mikio Naruse. Die meisten seiner Filme sind zeitlich und geographisch fokussiert, spielen also in einem gut überschaubaren Zeitrahmen von ein paar Tagen oder Wochen und an ganz wenigen Schauplätzen, oft innerhalb von nur ein oder zwei immergleichen Gebäuden. Die Handlung von Floating Clouds dagegen erstreckt sich über mehrere Jahre, ist nur sehr schwer einzugrenzen, und spielt an einer Vielzahl von Schauplätzen angefangen von Dalat in Indochina über die verschiedenen ärmlichen Unterkünfte der beiden und ihre Reiseziele bis hin zu Yakushima, der Insel, auf der Yukiko letztlich stirbt.

Ist der zeitliche und räumliche Rahmen des Films sehr viel ausladender als bei Naruse üblich, so fokussiert er sich andererseits ungewöhnlich stark auf die beiden von Takamine und Mori grandios verkörperten Hauptcharaktere. In den meisten Filmen Naruses, die ich bisher gesehen habe, stehen Familien oder Gruppen von eng verbundenen Menschen im Vordergrund und es gibt um die (meist weibliche) Hauptrolle herum gewissermaßen ein Ensemble zentraler Figuren, zwischen denen Naruse virtuos hin- und herwechselt. Nicht so in Floating Clouds, in dem außer Yukiko und Tomioka kaum nennenswerte Charaktere auftauchen. Zu nennen wären allenfalls Yukikos Schwager und die verschiedenen Liebschaften Tomiokas, die aber alle bestenfalls 3 oder 4 Sätze haben.

Vor diesem Hintergrund, dass es sich hier um einen eigentlich untypischen Naruse handelt, fand ich es sehr interessant zu lesen, dass er Catherine Russell zufolge das in Japan bekannteste Werk des Regisseurs sein soll. Russell zufolge hängt dies mit der Thematisierung der unmittelbaren Vergangenheit Japans und des Traumas des verlorengegangenen Kriegs zusammen.

In der Tat sind die Kriegsfolgen im Film allgegenwärtig: Zerstörte Straßenzüge, GIs, Demonstrationen, bittere Armut. Das eigentlich bemerkenswerte ist jedoch die Ziellosigkeit, Kraftlosigkeit und Unbestimmtheit, mit der Yukiko und ganz besonders Tomioka wie die titelgebenden Wolken durchs Leben treiben. Nichts gibt ihnen Halt, außer der Erinnerung an die schöne gemeinsame Zeit in Indochina.

Dies wurde von verschiedenen Autoren einerseits als schon fast reaktionäre Verherrlichung des kriegführenden Japans gesehen, andererseits aber auch als Anklage all derer interpretiert, die in völliger Verblendung dem Expansionsdrang des Militärs folgten und dann, als die Illusion mit der Niederlage in sich zusammenstürzte, jeglichen Halt und Orientierung im Leben verloren. In dieser Lesart stehen Yukiko und Tomioka symbolhaft für die ganze japanische Gesellschaft.

Man mag das sehen wie man will (ich persönlich halte von der ersten Variante ziemlich wenig), Floating Clouds ist zunächst mal ein faszinierendes und mitreißendes Porträt zweier verzweifelter Menschen, die magisch voneinander angezogen werden, aber nie wirklich zusammenkommen können. Und als solches ist der Film jenseits aller historisierender Interpretationen ein hochintensiver, sehenswerter Film und sicher einer der Besten Naruses.

Original: Kagirinaki hodo (1934) von Mikio Naruse

Die mir vorliegende Fassung hat leider keine Tonspur, was zwar nicht so furchtbar ist, da es sich um einen Stummfilm handelt. Aber ich fand es doch sehr schade, weil ich überaus gespannt war, welche Musik zum Einsatz kommen würde. Außerdem schien es mir, als fehlte eine Szene gegen Ende des Films, der Übergang war an einer Stelle merkwürdig abrupt. Somit steht die folgende Rezension unter einem gewissen Vorbehalt. Die mir bereits zuvor aufgefallene stilistische Experimentierfreude des jungen Naruse wurde aber eindrucksvoll bestätigt, dazu gleich mehr.

Im Zentrum des Films steht Sugiko (Setsuko Shinobu), Kellnerin in einem kleinen Restaurant in der Ginza. Sie und ihr Geliebter wollen heiraten, obwohl seine Familie für ihn eine Hochzeit arrangiert hat. Auf dem Weg zu einem Treffen wird Sugiko von einem Auto angefahren und vom Besitzer des Wagens, Hiroshi (Hikaru Yamanuchi), ins Krankenhaus gebracht, wo dieser sich in Sugiko verliebt. Ihr Verlobter, der sie in dem Auto mit einem fremden Mann sah, kehrt enttäuscht zu seiner Familie zurück und bläst die Hochzeit ab.

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Dafür wird sie nun von Hiroshi umworben, Sohn einer angesehenen, reichen Familie. Obwohl diese die aus einfachen Verhältnissen stammende Sugiko ablehnt, heiraten die beiden, im Vertrauen darauf, dass ihre Liebe alle Hindernisse überwinden werde. Doch die permanente Spannung zwischen Sugiko und ihrer Schwiegermutter sowie ihrer Schwägerin vergiftet die Ehe. Als Hiroshi zu trinken beginnt und der Konflikt eskaliert, reist Sugiko zu ihrem Bruder. Dort erreicht sie die Nachricht, dass Hiroshi bei einem Autounfall schwer verletzt wurde. Sie macht sich auf, um ihn zu besuchen und seine Familie zu konfrontieren.

Dieser „Showdown“ zwischen der liebenswerten, hochanständigen und aufrechten Sugiko und ihrer hochmütigen, kalten Schwiegermutter sowie der intriganten, hochnäsigen Schwester, denen beiden der Name der Familie über alles geht, besteht aus einer Abfolge absolut bemerkenswerter Schnitte. Während des Gesprächs der drei (das hauptsächlich Sugiko und die Schwiegermutter bestreiten) schneidet Naruse mit fast jeder neuen Einstellung über die Handlungsachse hinweg. Diese massive Verletzung des Continuity Editing führt dazu, dass Personen scheinbar im Raum springen, im Hintergrund plötzlich andere Personen auftauchen (eine Krankenschwester und ein Freund der Familie) und die Hauptakteure mal von vorne, dann wieder von hinten oder aus anderen, verschiedensten Blickwinkeln zu sehen sind.

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Da die Schnitte zudem erstaunlich schnell erfolgen, wirkt die eigentlich statische Gesprächsszene dadurch sehr dynamisch, man muss sich regelrecht konzentrieren, um den Personen über die Schnitte hinweg folgen zu können. Damit erhöht Naruse die Spannung der Szene erheblich und überträgt die emotionale Aufgewühltheit der Charaktere exzellent auf den Zuschauer.

Nur wenig später folgt eine ebenfalls sehr ausdrucksstarke Passage: Sugiko wird zunächst frontal gezeigt, dann im Profil von links und rechts, wobei sie jeweils einen Schritt nach vorn, ins Bild hinein macht. Dabei wirkt sie sehr entschlossen und selbstsicher, als hätte sie eben eine wichtige Entscheidung getroffen, von der sie absolut überzeugt ist. Schließlich läuft sie schnell auf die Kamera zu.

Am Ende des Films ist Hiroshi gestorben und Sugiko in ihr altes Leben als Kellnerin zurückgekehrt. Wir sehen sie gedankenversunken in ihrer Uniform am Straßenrand stehen, der Dinge harrend, die das Schicksal noch für sie bereithält. Durch die zuvor gezeigte Einstellung, in der sie als selbstbewusste, willensstarke und durchsetzungsfähige Frau etabliert wurde, ist aber klar, dass sie ihr Leben so oder so meistern wird.

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Neben den bereits beschriebenen Achsensprüngen überraschte mich Naruse noch mit anderen Stilmitteln, die mir aus seinen späteren Filmen nicht bekannt waren. Dazu gehören insbesondere zahlreiche sehr schnell geschnittene Szenen (Sugikos Unfall, Hiroshis Unfall, Szenen aus Ginza am Ende) sowie Reißschwenks. Die Innovationsfreude des jungen Naruse, die sich bereits in Wife! Be like a rose! angedeutet hatte, wird durch Street without End also eindrucksvoll bestätigt und wirft ein ganz neues Licht auf den Regisseur.

Davon abgesehen ist Street without End in vieler Hinsicht ein direkter Vorgänger späterer Filme wie Summer Clouds, When a Woman ascends the Stairs oder Yearning, in denen er die Suche von Frauen nach Erfüllung und Glück thematisiert, die schließlich an Konventionen, Traditionen, sozialen Gegensätzen, familiären Zwängen und schwachen Männern scheitern. Dass der Film von seiner Thematik her so eng mit den späten Filmen verwandt ist, aber stilistisch ganz andere Wege geht, macht ihn für mich zum vielleicht interessantesten Film Naruses, den ich bisher gesehen habe. Dafür fehlt ihm die Brillanz, mit der in den späteren Werken verschiedene Handlungsstränge miteinander verwoben und zu einem großen Ganzen zusammengefügt werden, sowie die Vielschichtigkeit und Balance der Charaktere.

Original: Tsuma yo bara no yo ni (1935) von Mikio Naruse

Nicht nur, dass Wife! Be like a rose! der erste von insgesamt fünf (!) Filmen war, die der junge Naruse im Jahr 1935 drehte, er war auch der erste japanische Film überhaupt, der in den USA aufgeführt wurde. Naruse und seine Hauptdarstellerin Sachiko Chiba wurden später übrigens auch privat ein Paar.

Sie spielt Kimiko, eine junge Büroangestellte, die mit ihrer Mutter, einer Dichterin, zusammen wohnt und gern ihren Freund heiraten möchte. Zur Anbahnung der Hochzeit müsste jedoch Kimikos Vater Shunsaku (Sadao Murayama) die Eltern des Bräutigams treffen. Doch Shunsaku lebt bereits seit langer Zeit mit einer ehemaligen Geisha zusammen auf dem Land, worunter Kimikos Mutter, immerhin seine angetraute Ehefrau, sehr leidet. So entschließt sich Kimiko, ihren Vater zu besuchen und zur Rückkehr nach Tokyo und zu seiner „wahren“ Familie zu überreden.

Vor Ort muss sie jedoch erfahren, dass die Dinge in Wirklichkeit ganz anders sind, als sie aus der Ferne wirkten. Die ehemalige Geisha nutzt keineswegs Shunsakus Großzügigkeit auf Kosten seiner „eigentlichen“ Familie aus. Ganz im Gegenteil, sie arbeitet hart, um den erfolglosen Goldschürfer zu unterstützen und bietet ihm genau das einfache, ursprüngliche Familienleben, das ihm seine intellektuelle, zur Trübsal neigende erste Frau nicht bieten konnte. Dennoch erklärt er sich bereit, Kimiko nach Tokyo zu begleiten, um ihre Hochzeit in die Wege zu leiten. Für eine kurze Zeit scheint es Kimiko, als würde ihr Traum von Familienglück nun wahr werden. Doch sie muss erkennen, dass ihre Eltern einfach nicht zusammenpassen.

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Wie gewohnt zeichnet Naruse seine Charaktere mit viel Liebe zum Detail und schafft es ganz ohne plakative Effekte, den Zwiespalt, in dem sowohl Kimiko als auch ihr Vater gefangen sind, glaubhaft und eindringlich zu inszenieren. Dabei erweist dich die junge Kimiko nicht nur als sehr moderne Frau (wie auch der ganze Film sehr modern wirkt), sondern auch als reife Persönlichkeit, die erkennt und versteht, dass es für ihren Vater kein Zurück mehr gibt.

Die letzte Einstellung zeigt Kimikos allein und verlassen zurückbleibende Mutter, die tragische Figur des Films. Sie ist nunmal wer und was sie ist, und kann allein deshalb Sunsaku nicht das geben, was er zum Glücklichsein braucht. So ist sie zum Leiden verdammt, ohne dass sie oder sonst jemand etwas dafür könnte. Das Leben ist manchmal einfach grausam.

Wife! Be like a rose! ist der erste Vorkriegsfilm Naruses, den ich bisher gesehen habe. Einige typische Elemente seiner späteren Filme sind sofort wiederzuerkennen: Die Szenen mit von Häusern eingefassten Straßenzügen, die Kontrastierung von Stadt und Land, der Enge und der Weite, sowie kurze Großaufnahmen von Objekten, etwa um eine bestimmte Stimmung zu transportieren.

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Als ungewöhnlich fielen mir dagegen zahlreiche Einstellungen auf, in denen der Blick auf die Personen durch Objekte im Vordergrund teilweise verdeckt ist. Ich interpretiere dies als eine Anknüpfung an die Botschaft des Films, nämlich dass man Personen nicht auf Grund von Hörensagen und Vermutungen basierend aus der Ferne beurteilen kann, sondern dass dazu immer das direkte, persönliche Erleben, also quasi der unverstellte Blick, gehören.

Bemerkenswert außerdem die häufig niedrig positionierte Kamera, so dass wir als Zuschauer oft regelrecht an den Personen hinaufschauen müssen. In manchen, in geschlossenen Räumen spielenden Szenen erinnert dies stark an Ozus typischen Stil der sitzenden Perspektive. Doch Naruse verwendet sie auch in einigen anderen Szenen. Am auffallendsten ist dies bei der Begegnung von Kimiko und ihrem Vater. Auf offenem Felde stehend unterhalten sich die beiden, wobei wir sie in einer klassischen shot-reverse-shot Konstellation zu sehen bekommen. Allerdings scheint der Kameramann seine Kamera dabei unter dem Arm gehalten zu haben.

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Dadurch, dass wir zur freudestrahlenden Kimiko und ihrem ebenfalls überglücklichen Vater aufsehen, beide Personen gegen den Himmel gezeigt werden, entsteht ein regelrecht erhebendes Gefühl. Das Wiedersehen von Vater und Tochter, der emotionale Höhepunkt des Films, wird so auch visuell unterstrichen.

Anscheinend war der junge Naruse recht experimentierfreudig und versuchte sich an verschiedenen Stilmitteln. Ob die genannten sowie weitere Mittel in seiner frühen Schaffensphase häufig eingesetzt wurden, werde ich schon bald etwas genauer einschätzen können. Als nächstes steht nämlich Street without end auf meiner Liste, der unmittelbar vor Wife! Be like a rose! entstand.

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Original: Meshi (1951) von Mikio Naruse

Diese Verfilmung einer Vorlage von Fumiko Hayashi, Naruses Lieblings- schriftstellerin, an deren Drehbuch auch der spätere Literaturnobelpreisträger Yasunari Kawabata mitwirkte, war Naruses erster großer Nachkriegserfolg. Garant dafür dürfte nicht zuletzt Hauptdarstellerin Setsuko Hara gewesen sein.

Hara spielt die ursprünglich aus Tokyo stammende Hausfrau Michiyo, die nun mit ihrem Ehemann Hatsunosuke (Ken Uehara), einem unterbezahlten Wertpapierhändler, in Osaka lebt. Eines Tages kommt Hatsunosukes Nichte Satoko (Yukiko Shimazaki) zu Besuch, die von Michiyo zunächst herzlich aufgenommen wird. Das junge, ungebundene Mädchen, das noch nichts über Verantwortung und die Härten des Lebens weiß und das Leben so gut es geht genießt, führt Michiyo jedoch bald die Eintönigkeit ihres Hausfrauendaseins und ihrer Ehe eindrücklich vor Augen.

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Dazu kommt die große Aufmerksamkeit, die ihr Ehemann seiner hübschen Nichte zukommen lässt, so dass Michiyo zunehmend eifersüchtig wird, ihr Leben als unerfüllt und vergeudet wahrnimmt und sich in einer Sackgasse sieht. Schließlich packt Michiyo ihre Sachen und reist nach Tokyo zu ihrer Familie, begleitet von Satoko. Hatsunosuke, der von all dem völlig überrumpelt wird, bleibt verständnislos im schnell im Chaos versinkenden Haus zurück. Michiyo ist unterdessen hin- und hergerissen zwischen der Möglichkeit, in Tokyo zu bleiben und dort eine Arbeit zu suchen, oder zu ihrem Mann in ihr altes Leben zurückzukehren.

Schließlich sind es wieder Satoko und ihr zielloses, sprunghaftes Verhalten sowie der daraus erwachsende Ärger mit ihren Eltern, die Michiyo ins Grübeln bringen und eine Entscheidung in ihr reifen lassen. Ihr wird klar, dass sie im Gegensatz zu dem jungen Mädchen ihren Platz im Leben gefunden hat und nicht noch einmal von vorn beginnen will. Wie häufig in Naruses Filmen wird dieser entscheidende Moment unter freiem Himmel in einer offenen Landschaft inszeniert und steht somit im starken Kontrast zum eingeengten Alltag der Protagonistin.

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Als dann auch noch Hatsunosuke nach Tokyo kommt, vorgeblich wegen einer Geschäftsreise, und die beiden sich nach längerer Zeit wieder begegnen, löst sich die angesammelte Spannung zwischen den Eheleuten schnell und sie finden sogar ein Stück des ursprünglichen gemeinsamen Glücks wieder.

Symbolisiert wird dies durch einen gemeinsamen Besuch in einer Bar, bei dem die beiden das erste Mal im Film überhaupt gemeinsam lachend zu sehen sind. Dabei etabliert Naruse eine auffällige Parallele zu einer ganz ähnlichen früheren Szene, in der Michiyo von einem an ihr interessierten entfernten Verwandten zum Essen eingeladen wurde, zu einer Zeit, als sie noch mit dem Gedanken spielte, auf der Suche nach Glück ein neues Leben zu beginnen.

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Überhaupt arbeitet Naruse in Repast sehr häufig mit parallelen Szenen, die durch mehr oder weniger subtile Abweichungen und Änderungen die sich wandelnde Stimmung der Charaktere und ihr Verhältnis zueinander unterstreichen. Sehr typisch dafür wäre etwa die Eröffnungssequenz, in der (ein Markenzeichen Naruses) die engen Straßen und kleinen Häuser des Viertels in Osaka zu sehen sind, die am Anfang sehr sympathisch, freundlich und liebenswert erscheinen. Eine spätere fast exakte Wiederholung transportiert dann aber eine komplett andere Stimmung und trägt damit zur Charakterisierung von Michiyos Leben als eintönig, freudlos und ausweglos bei.

Neben der außergewöhnlichen Fähigkeit Naruses, seinen Filmen durch die besondere Aufmerksamkeit für kleine Details eine sehr dichte Atmosphäre zu verleihen, ist es besonders die großartige Setsuko Hara, die Repast zum Leben erweckt. Indem sie die zweifelnde, am Scheideweg ihres Lebens stehende Hausfrau nicht nur glaubwürdig sondern sehr nuanciert spielt und ihr mittels ihres unnachahmlichen Lächelns in vielen Szenen etwas zutiefst rätselhaftes verleiht, wird der gesamte Film sehr wahrhaftig und unaufgesetzt.

Aus heutiger Sicht mag jedoch die durch den Schluss scheinbar vermittelte Botschaft des Films („Vielleicht liegt das Glück einer Frau ja darin, sich für ihren Mann aufzuopfern“) vielen – und da nehme ich mich nicht aus – übel aufstoßen. Allerdings bin ich mit Naruses Werken vertraut und weiß sehr wohl, dass ihm Frauenschicksale und die Frauen angetane Ungerechtigkeit sehr am Herzen liegen, weshalb ich Repast unter etwas anderen Gesichtspunkten betrachte.

Im Gegensatz zu vielen anderen Protagonistinnen Naruses ist Michiyo nämlich in der glücklichen Lage, ihr Schicksal selbst bestimmen zu können. Sie wird nicht wie die Bardame Keiko in When a Woman ascends the stairs oder wie die Witwe Yae in Summer Clouds durch äußeren Druck seitens der Familie, finanzielle Nöte oder gesellschaftliche Zwänge am Ausbrechen aus ihrem festgefahrenen Leben gehindert. Ganz im Gegenteil, Michiyos Familie ist sehr verständnisvoll und geduldig, und dass sie und ihr Mann ein eher karges Leben führen spielt keine Rolle bei ihrer Entscheidung. Sie folgt einfach ihren Gefühlen, tut das was ihr als richtig erscheint und genießt damit eine Freiheit, die fast allen anderen Frauenfiguren Naruses verwehrt blieb.

Sehr begeistert von Mikio Naruses Stummfilm Nasanu naka zeigt sich Thomas, der im Zuge der Berlinale Retrospektive das Glück hatte, diesen seltenen Film sehen zu können. Er schreibt:

Nasanu Naka folgt dem Melodram im geschickten Aufbau – Erzählokonomie, Figurenkonstellationen und dergleichen befinden sich durchweg auf höchstem Niveau. Davon aber abgesehen ist es vor allem die Inszenierung des Films, die staunen lässt: Nasanu Naka ist von einer unvergleichlichen Bild- und Bewegungsdynamik getragen. Die Position und Bewegung der Kamera sind in jedem Moment reflektiert und als Ergebnis einer ästhetischen und gestalterischen Entscheidung vordergründig präsent: Nie hat man den Eindruck in einer distanzierten Position des Geschehens zu verharren, stets ist man ‚mittendrin‘: Die Kamera bannt nicht das Geschehen, sondern folgt ihm nach.

Interessant finde ich besonders den Hinweis auf die Dynamik der Kamerabewegungen, die mir aus den späten, sehr stark statisch geprägten Naruses kaum bekannt sind. Die Veränderungen im Stil zwischen seinen Filmen der 30er und der 50er Jahre scheinen doch erheblich zu sein. Inzwischen entwickelt sich in den Kommentaren zum Post zudem eine (auch von mir geführte) Diskussion über die verspätete Einführung des Tonfilms in Japan.

Und im Forum von Rolling Stone gibt es einen Thread, in dem Naruse diskutiert und einige – besonders frühere Filme als die von mir gesehenen – vorgestellt werden.

Also schaut’s mal rein!

Über zwei Dinge habe ich mich doch sehr gewundert, als ich vor kurzem anfing, mich näher mit Mikio Naruse zu beschäftigen: Erstens seine außergewöhnlich lange Schaffenskrise und zweitens, dass seine Filme nicht nur im Westen unbekannt, sondern auch in Japan seit Jahrzehnten nahezu in Vergessenheit geraten sind. Für beide Phänomene sind mir inzwischen (mögliche) Erklärungen begegnet.

Immer wieder habe ich in der älteren Literatur von der ominösen, 16jährigen Schaffenskrise Naruses von 1935 bis 1951 gelesen, für die sowohl persönliche Probleme als auch die Zensur verantwortlich gemacht werden. In der Tat litten auch andere große Regisseure unter den Restriktionen und Arbeitsbedingungen während des Krieges, insofern mag es durchaus sein, dass Naruse nicht die Filme machen konnte, die er machen wollte.

Aber, so habe ich mir immer wieder gedacht, ein so großartiger Regisseur kann doch nicht plötzlich aufhören, gute Filme zu drehen, und 16 Jahre später wieder damit anfangen! Da ich selbst bisher leider nur Nachkriegsfilme Naruses gesehen habe, konnte ich mir darauf nicht wirklich einen Reim machen. Inzwischen habe ich jedoch den Eindruck gewonnen, dass die „Schaffenskrise“ zu einem guten Teil schlicht auf der Unkenntnis der Filme beruht. Denn es scheint durchaus eine Reihe anspruchsvoller und ambitionierter Filme Naruses aus den späten 30er Jahren zu geben, die allerdings erst in der jüngeren Vergangenheit auch im Westen gezeigt wurden. Alexander Jacoby zufolge widerlegen diese die angebliche Schaffenskrise auf eindrucksvolle Weise:

Recent screenings in Japan and Europe of such hitherto unknown films as Avalanche (1937) and A Woman’s Sorrows (1937), coupled with revivals of Wife, Be Like a Rose and The Whole Family Works (1939), have revealed the consistent quality and complexity of Naruse’s work in this period: an intriguing blend of melodrama with realism; a novelistic ability to balance and develop a set of distinct but overlapping narratives, and to create large numbers of plausible, three-dimensional characters; an imaginative willingness to experiment with diverse cinematic styles and their expressive potential.

Soviel zu Schaffenskrise, mehr wenn ich diese und andere frühe Filme Naruses mit eigenen Augen gesehen habe. Das zweite große Rätsel, das sich mir stellt, ist die fehlende Popularität Naruses gerade in Japan. Wie mir verschiedentlich von Japanern berichtet wurde, kennt man natürlich Kurosawa und Ozu, vielleicht noch Mizoguchi. Deren Filme werden auch ab und an im Fernsehen gezeigt, während Naruse offenbar schon seit Jahrzehnten weitgehend in Vergessenheit geraten ist. Und das, obwohl seine Familiendramen eigentlich eher TV-kompatibel sind als die bildgewaltigen Epen eines Kurosawa oder Mizoguchi.

Ich konnte mir darauf einfach keinen Reim machen, bis mir neulich eine Episode aus dem Making-Of eines Ghibli-Films einfiel. Darin wird von den massiven Bedenken der Studiobosse gegenüber Tonari no totoro (ein sehr erfolgreiches Anime aus den 80er Jahren) berichtet. Niemand wollte das Projekt finanzieren, weil man glaubte, kein Mensch würde sich einen Kinderfilm ansehen, der in den von Armut und Entbehrung geprägten Jahren vor dem japanischen Wirtschaftswunder spielt. Und da hat es klick gemacht!

Wenn sich die seit Jahrzehnten im Überfluss lebenden Japaner nicht mit einer Zeit, in der in ihrem Land Armut und Entbehrung herrschten, auseinander setzen möchten (oder wenn Programmdirektoren dies glauben), dann würden sie sich auch keinen Naruse ansehen, in dem Kinder aus Geldsorgen zur Adoption freigegeben werden. Just die realistische und ergreifende Weise, in der Naruse in seinen Filmen Nöte der Unterschicht problematisiert, könnte für heutige Japaner beklemmend wirken und Erinnerungen heraufbeschwören, über die man lieber Gras wachsen lässt. Warum in die Zitrone beissen, wenn man in der anderen Hand einen Schoko-Riegel hat?