6 Mrz
Original: Mozu (1961) von Minoru Shibuya
Die Bardame Ohisa (Chikage Awashima) hat ihre besten Tage hinter sich, geht aber bei den Kunden noch als Mitte 30 durch. Als ihre fast 30jährige Tochter Sachiko (Ineko Arima) nach Tokyo kommt, um in einem Schönheitssalon zu arbeiten, und das Wiedersehen nach vielen Jahren nicht gerade optimal verläuft, gerät Ohisas Welt aus den Fugen.
Sachiko ist schockiert, als ihr klar wird, dass ihre Mutter sich von einem Kunden aushalten lässt, mit dem sie eine Beziehung führt. Ausgerechnet dieser Kunde €“ ein alter Industrieller €“ ist es dann jedoch, der Sachiko hilft, eine Stelle zu finden. Als jedoch Ohisa von der Begegnung der beiden erfährt, wird sie eifersüchtig und macht sich dennoch gleichzeitig Sorgen um Sachiko. Schließlich beendet sie ihre Affäre, wird entlassen und obendrein auch noch krank. Nun kümmert sich Sachiko um sie, die beiden ziehen zusammen und eine nicht enden wollende Serie aus Streitereien nimmt ihren Lauf, meist ausgelöst durch Männergeschichten oder Heiratspläne für Sachiko. Doch jedesmal versöhnen sich die beiden wieder.
Die Beziehung von Mutter und Tochter dominiert den Film von der ersten bis zur letzten Sekunde. Diese ist geprägt durch ständige wechselseitige Vorwürfe und Unverständnis für den jeweils anderen. Der Auslöser dafür liegt direkt in der ersten Szene, in der die beiden sich nach langer Trennung zunächst langsam aneinander herantasten. Bevor die beiden wieder wirklich vertrauen zueinander fassen können, werden sie von Ohisas Kunden unterbrochen. Als Sachiko die €žWahrheit€œ über ihre Mutter erfährt, bedeutet das einen Schock und einen Vertrauensverlust, der sie nicht wieder loslässt. Gleichzeitig fühlt sie sich dennoch ihrer Mutter zutiefst verpflichtet, und diese Bindung wird im Laufe des Films immer stärker.
Ironischerweise ist es am Ende des Films Sachiko, die sich an denselben Kunden wie ihre Mutter verkauft, um die Tuberkulosebehandlung für die im Sterben liegende Mutter bezahlen zu können. In gewisser Weise schließt sich an dieser Stelle der Kreis, sie ist in die Fußstapfen ihrer Mutter getreten und hat sich genauso prostituiert wie diese.
Von den fünf Filmen Shibuyas, die ich auf der Berlinale sehen konnte, konnte mich The Shrikes am wenigsten überzeugen. Die ständigen, wegen lächerlicher Lappalien ausbrechenden Streitereien zwischen Mutter und Tochter sind irgendwann nur noch anstrengend, zumal die jedesmal anstehende Versöhnung absehbar ist. Undurchschaubar bleibt dabei für mich die Rolle der Tochter Sachiko, ihre Motivation ist für mich nicht wirklich nachvollziehbar: Sie hat ihre Mutter jahrelang nicht mehr gesehen, streitet sich bei jeder Gelegenheit mit ihr, und kümmert sich dennoch am Ende aufopferungsvoll um sie, ohne dass wirklich klar wäre, weshalb.
Da es außer den beiden keine weiteren relevanten Charaktere gibt und auch eine Story im klassischen Sinne fehlt, ist es mir nicht gelungen, irgendeinen emotionalen Bezug zum Film herzustellen. Dabei war die Auftaktszene in der Bar, in der das Wiedersehen von Ohisa und Sachiko stattfindet, so vielversprechend: Eine lebendige, lustige Truppe an Bardamen, ein paar schräge Kunden, das sah ganz nach einem weiteren Ensemble-Film Shibuyas mit wunderbar gezeichneten, liebenswert-chaotischen Charakteren à la Doctor’s Day off, Righteousness oder Days of evil women aus.
Positiv aufgefallen ist mir vor allem Nobuko Otowa in einer kleinen Nebenrolle als Bardame und Freundin Ohisas. Wer die Ehefrau Kaneto Shindos vor allem aus den Filmen ihres Mannes wie Onibaba oder Die nacke Insel kennt, wird sich ganz schön die Augen reiben! Wie sie hier Witze und Grimassen reißt und mit den Kunden flirtet, deutet auf ein komödiantisches Talent hin, das ich so nie bei ihr vermutet hätte.
Fünf Filme sind wahrscheinlich nicht ausreichend, um das Gesamtwerk Shibuyas beurteilen oder einschätzen zu können. Mein Eindruck ist jedoch, dass seine Stärke in der Verbindung von komödiantisch-turbulenten Charakteren und Stories mit einer sozialkritischen Aussage liegt. Bei drei der fünf Filmen kam diese Mischung zum Einsatz, und sie hat jedesmal gut funktioniert. Beim sehr viel ernster angelegten The Shrikes wollte der Funke aber nicht überspringen.
24 Feb
Original: Akujo no kisetsu (1958) von Minoru Shibuya
Yashino (Eijiro Tono) ist reich, geizig und alt €“ aber topfit! Als ihm sein Arzt auch noch bestätigt, dass er wahrscheinlich 100 Jahre alt wird, entschließt sich seine Frau Taeko (Isuzu Yamada), etwas dagegen zu unternehmen. Ein erster Versuch mit Gas scheitert an Seita, einem plötzlich auftauchenden ehemaligen Liebhaber Taekos, der Geld braucht um sein Taxi abzubezahlen. Sie weiht ihn in ihre Pläne an und macht ihn zu ihrem Komplizen.
Doch die beiden sind nicht die einzigen, die es auf Yashinos Geld abgesehen haben: Auch Taekos Tochter Hitomi (Mariko Okada) und sein Neffe Shujiro wollen ihm an den Kragen. Immer neue Varianten, den Alten loszuwerden, denken sie sich aus, doch vergeblich. Obendrein engagiert Seita auch noch einen Auftragskiller. Als Yashino ein Wochenende in seiner Bergvilla verbringen will, kulminieren die Ereignisse und die von Geldgier Getriebenen lassen einer nach dem anderen ihr Leben.
Einige Szenen dieser makabren, schwarzen Komödie sind wirklich herrlich böse und umwerfend komisch. Der ganze Kinosaal hat sich geschüttelt vor Lachen, als der nicht besonders helle Auftragskiller beim Graben nach Yashinos Reichtümern auf eine Granate aus dem Krieg stößt und – weil er darin Diamanten vermutet – unvermutet zuerst mit einer Schaufel und dann mit dem Hammer darauf einschlägt. Begeistert hat mich an dieser Szene nicht nur die Komik des absurden, selbstmörderischen Verhaltens des Killers, sondern wie dieser vor Gier wahrhaft alles vergisst und sehenden Auges sein eigenes Ende herbeiführt.
The Days of evil Women ist in Grandscope gefilmt, Shochikus Antwort auf den Trend zu Farbfilmen im Breitbild. So hat der Film brillante Farben und selbst nach 50 Jahren noch ein großartiges Bild zu bieten, aber abgesehen von einigen Szenen in denen beispielsweise das Treppenhaus im Anwesen Yashinos das Bild ausfüllt, hatte ich nicht das Gefühl, dass Shibuya die Möglichkeiten dieses Formats wirklich ausnutzte. Was mit daran liegen mag, dass sein klassisches Terrain eher die gedrängten Städte, engen Gassen und heruntergekommenen Viertel waren (jedenfalls erscheint mir das anhand der Filme, die ich im Rahmen der Berlinale Retrospektive sehen konnte) und weniger Villen mit Gärten und offene Berglandschaften.
Umso mehr wird der Film von den Schauspielern getragen: Isuzu Yamada als frustrierte Ehefrau zu sehen, die verzweifelt ihren Mann loswerden will, sich dazu mal einschmeichelt und schnurrt wie eine Katze und mal hinterrücks die Lebensversicherung aufteilt, macht richtig Spaß. Noch mehr beeindruckt hat mich aber Mariko Okada als ihre Tochter, ein richtiges, eiskaltes und berechnendes Biest.
Eine wunderbare Komödie, bei der ich aber oft das Gefühl hatte, dass durch die Untertitel vieles verloren geht. Gerade bei Komödien spielen ja Wortwitz, Timing, Doppeldeutigkeiten, Überraschung und natürlich die Stimmlage und der Ausdruck eine besonders zentrale Rolle. Alles Aspekte, die in Untertiteln kaum lebendig und mitreißend rüberzubringen sind. Wie viel Spaß muss dieser Film erst machen, wenn man Japanisch spricht!
17 Feb
Original: Gendaijin (1952) von Minoru Shibuya
Ogino (Sō Yamamura), Chef einer Abteilung im Bauministerium, lässt sich von einem windigen Bauunternehmer schmieren, um die Krankenhausrechnung für seine Frau zahlen zu können. Obendrein führt er noch eine Affäre mit der Barbesitzerin Shinako (Isuzu Yamada), die ebenfalls der Bauunternehmer finanziert. Als der neue Mitarbeiter Odagiri (Ryō Ikebe) in die Abteilung kommt, will Ogino diesen jedoch aus den unredlichen Machenschaften heraushalten und denkt sogar daran, ihn mit seiner Tochter Michiko zu verheiraten.
Michiko und Odagiri verlieben sich auch tatsächlich ineinander. Um Michiko den Traum von der perfekten Familie zu ermöglichen, beginnt Odagiri jedoch ein undurchsichtiges Intrigenspiel: Zuerst spannt er dem Vater Shinako aus und drängt ihn aus dem Geschäft mit der Vergabe von Bauaufträgen. An Stelle Oginos verstrickt er sich nun selbst immer tiefer in die Fänge der Korruption. Als ihm klar wird, dass er mit seinen Ränkeschmieden sowohl den Vater wie die Tochter gegen sich aufgebracht hat, will er einen Schlussstrich ziehen, doch es gibt kein Zurück mehr: Betrunken zettelt er einen Streit mit dem Bauunternehmer an und erschlägt ihn, anschließend steckt er auch noch das Büro in Brand um Beweise zu vernichten.
Der Film eröffnet mit einer Flugsequenz über eine Industrie- und Großstadtlandschaft, unterlegt mit bedrohlicher Musik und einem Off-Sprecher, der Kriminalität und Gewissenlosigkeit anprangert. Da ist es nicht verwunderlich, dass mit Odagiri der Hauptcharakter, der zunächst unbefleckt von diesen Machenschaften auftritt, in Korruption, Gewalt und Kriminalität versinkt und am Ende der Todesstrafe entgegensieht. Verwunderlich ist jedoch, mit welcher Direktheit Regisseur Shibuya seine Kritik an gesellschaftlichen Zuständen (die in vielen seiner Filme vertreten ist) vorbringt. Das ist schon kein Wink mit dem Zaunpfahl mehr, hier winkt er gleich mit dem ganzen Zaun!
Fünf Filme Shibuyas konnte ich auf der Berlinale sehen und verglichen mit diesen fällt Modern People noch unter zwei weiteren Gesichtspunkten ziemlich aus dem Rahmen: Zum einen hatten die anderen Filme bei aller Ernsthaftigkeit und Dramatik immer auch ihre komischen Momente, die in Modern People dagegen völlig fehlen. Zum anderen zeichneten sich die übrigen Filme Shibuyas duch ihre liebenswert gezeichneten und durch und durch menschlichen, wenn auch manchmal etwas überdrehten Charaktere aus, mit denen wir Zuschauer mitfiebern und uns identifizieren konnten.
Im Gegensatz dazu mag man sich in Modern People mit keinem der Charaktere wirklich identifizieren: Ogino ist ein permanent herumstammelnder Schwächling ohne einen Hauch von Rückgrat, Odagiri ist berechnend und nimmt keine Rücksicht auf die Gefühle der Menschen, Shinako ist käuflich und arrogant, der Bauunternehmer sowieso ein gewissenloses Arschloch und Michiko eine verwöhnte Träumerin.
Offenbar liegt hier der Hund begraben: „Moderne Menschen“ haben ihre Menschlichkeit verloren. Worin allerdings die Ursache für die allgegenwärtige Gewissenlosigkeit und die Selbstbezogenheit liegt, darauf gibt uns Shibuya keine Hinweise. Die Motivation der einzelnen Charaktere für ihr Handeln ist jedenfalls von Fall zu Fall verschieden, ein Muster nicht wirklich erkennbar. Hier liegt die Schwäche des Films, der zwar die Zustände anprangert, aber weder Ursachen benennt noch einen möglichen Ausweg weist.
Ein sehr direkter und kritischer Film, der schonungslos und mutig die üblen Machenschaften zwischen Politik und Wirtschaft im Nachkriegsjapan zum Thema macht und Schwächen der Menschen adressiert. Leider wird die Botschaft aber ziemlich plakativ vermittelt und die Problematik etwas eindimensional betrachtet. Mit Righteousness ist Shibuya ein paar Jahre später ein besserer Wurf zu einer ähnlichen Thematik gelungen.
15 Feb
Original: Seigiha (1957) von Minoru Shibuya
Im Zentrum des Films stehen die Schwarzmarkthändlerin Okyo (Eiko Miyoshi) und ihr Sohn Seitaro, der die illegalen Aktivitäten seiner Mutter strikt ablehnt. Er arbeitet als Mechaniker bei einem Busunternehmen und ist heimlich verliebt in Machiko, die Tochter einer Kneipenbesitzerin, die jedoch mit einem Börsenhändler verheiratet werden soll. Ein Kollege Seitaros, der Busfahrer Fujita, ist mit seiner kränklichen Frau neu in der Nachbarschaft. Beide haben sich mit ihren Familien zerstritten, weil sie gegen deren Willen geheiratet haben. Frau Okyo schließt die beiden schnell in ihr Herz und hilft ihnen sowohl bei den alltäglichen Kleinigkeiten als auch im Handling der Eltern.
Als Fujita (Keiji Sada) nach einer durchzechten Nacht auch noch Überstunden machen muss, verursacht er einen Unfall und überfährt ein kleines Mädchen. Einziger Zeuge ist Seitaro, der mit ihm im Bus war. Von allen Seiten wird Seitaro bedrängt, eine Falschaussage zu machen, doch er folgt seinem Gewissen, was ihm Unverständnis und Ablehnung der Kollegen und Nachbarn einbringt. Nur seine Mutter erkennt, dass er das Richtige getan hat und verteidigt ihn in einer furiosen Szene gegen die Anschuldigung, ein Verräter zu sein. Doch genau in diesem Moment wird sie wegen ihrer Schwarzmarktaktivitäten verhaftet.
Letztlich gibt es aber ein klassisches Happyend: Fujita und seine Frau versöhnen sich mit ihrer Familie und kehren zurück aufs Land, Frau Okyo wird nach dem Verhör gleich wieder freigelassen und entsagt ihren illegalen Geschäften und Seitaro offenbart seine Gefühle endlich Machiko, die daraufhin die Hochzeit mit dem Börsenhändler absagt und bei ihm bleibt.
Wie in Doctor’s day off versammelt Regisseur Shibuya ein Ensemble an Charakteren die mit ihrer Menschlichkeit, mit ihren großen und kleinen Schwächen, ihren guten und schlechten Seiten, sehr sympathisch und glaubwürdig erscheinen. Das ist aber nicht die einzige Parallele zwischen den beiden Filmen. Auch in Righteousness finden wir wieder einen Hauptcharakter, der unermüdlich wie ein Aufziehmännchen von Szene zu Szene düst, ständig Anlass für einen Lacher ist, mal mürrisch und mal großherzig. Sehr beeindruckend, wie die vor allem aus kleineren Rollen in verschiedenen Filmen von Kurosawa oder Ozu bekannte Eiko Miyoshi das Original Okyo verkörpert. Zu den weiteren Parallelen gehören die schwierigen sozialen und finanziellen Verhältnisse der Figuren sowie ihr Lebensumfeld am Rande eines Industriegebiets, dessen Schornsteine und Öltanks die Hintergründe dominieren, wie in Doctor’s day off die Gleisanlagen und Schuppen eines Güterbahnhofs.
Rechtschaffenheit und Aufrichtigkeit müssen manchmal auch gegen äußere Zwänge und ein verständnisloses Umfeld verteidigt werden, das ist die klare Botschaft des Films. Sie erfordern mehr als große Worte, nämlich auch schmerzhafte Entscheidungen sowie die Größe, zu seinen Taten zu stehen und mit deren Konsequenzen umzugehen. Gerade deshalb ist es aber wichtig, „das Richtige“ zu tun. Diese Herausforderung verkörpert die Figur der Okyo: In der Szene, in der sie die versammelte Nachbarschaft für ihre Kritik an Seitaros Entscheidung zusammenfaltet, bettelt sie gleich darauf alle um Hilfe an, als ein Polizist erscheint um sie zum Verhör abzuholen.
Ein sehr unterhaltsamer, sympathischer Film, der richtig Spaß macht und dabei aber mehr zu bieten hat als „nur“ Unterhaltung.
14 Feb
Original: Honjitsu kyushin (1952) von Minoru Shibuya
Der alte Stadtteilarzt Dr. Mikumo (Eijiro Yanagi) möchte eigentlich den Jubiläumstag der Wiedereröffnung seiner Praxis genießen, doch daraus wird nichts: Gleich am frühen Morgen wird er von einem Polizisten aus dem Bett geklingelt. Eine junge Frau wurde in der Nacht vergewaltigt und muss untersucht werden. Und sie bleibt nicht die einzige Patientin, um die sich Dr. Mikumo noch kümmern muss. Da gibt es eine komplizierte Schwangerschaft, einen Blinddarmdurchbruch und nicht zuletzt einen Yakuza, der sich den kleinen Finger amputieren lassen muss.
Großherzig kümmert sich Dr. Mikuno rührend nicht nur um seine Patienten sondern generell um seine Mitmenschen, er sorgt sich auch um ihre materiellen Nöte und kümmert sich, wo er nur kann. Auch wenn er aufrecht und standhaft agiert und in vieler Hinsicht die klassische Vorbild- und Vaterfigur abgibt, bleibt er dabei doch immer menschlich, lässt sich auch mal betrunken zu einer Patientin fahren und gibt sich in manchen Momenten schusselig. Um ihn herum versammelt Regisseur Shibuya ein Ensemble an Menschen, die von schweren Schicksalsschlägen ereilt wurden, durch eigenes Verschulden auf die schiefe Bahn geraten sind oder einfach schräge Vögel sind.
Diese Charaktere vereinen meist ausgeprägte komödiantische und tragische Elemente in sich. Ein Paradebeispiel für diese Verbindung ist die Figur des Yusaku (Rentaro Mikuni in einer seiner ersten Rollen), der als Leutnant im Krieg diente und tief traumatisiert wurde: Er lebt immer noch den Krieg fort, ruft die Nachbarn zum Morgenappell, beschuldigt unbeteiligte Passanten als Deserteure und nimmt eine verletzte Gans auf, weil er in ihr einen verwundeten Piloten sieht. Mit seinen abstrusen Fantasien sorgt er immer wieder für lustige Situationen, in denen einem angesichts des in seinen Kriegserinnerungen gefangenen Yusaku aber das Lachen im Halse stecken bleibt.
Letztlich überwinden die Figuren die Schicksalsschläge aber durch Zusammenhalt und gegenseitige Hilfe – wie das Mädchen, das vergewaltigt wurde und dann in der Nachbarschaft eine neue Heimat findet – so dass wir Zuschauer uns zum Schluss über ein Happyend freuen können. Die Schlussszene, in der die geheilte Gans zu ihrem Rudel zurückkehrt und dem Sonnenuntergang entgegenfliegt, bringt die Botschaft bildhaft auf den Punkt und ist auch emotional einer der Höhepunkte des Films.
Die klassische, klare Struktur mit dem Motiv „Ein Tag im Leben…“ macht die erste Hälfte des Films besonders gut nachvollziehbar und reizvoll, in der wir die Charaktere und ihre jeweiligen Probleme und Konflikte kennenlernen. In der zweiten Hälfte gerät der Film phasenweise etwas aus den Fugen, weil der klare Rahmen nicht mehr gegeben ist und plötzlich noch weitere Komplikationen und Figuren auftreten, wie etwa eine reiche Hausfrau, bei der der Yakuza mit einem ziemlich erbärmlichen Erpressungsversuch abblitzt. Etwas unübersichtlich wird es auch, weil zeitliche Zusammenhänge nicht mehr klar nachvollziehbar sind.
Begeistert hat mich vor allem Hauptdarsteller Yanagi, der in manchen Szenen wie ein Wirbelwind durch den Film fegt, voller positiver Energie, Sorge um seine ihm anvertrauten Patienten und immer einen lockeren Spruch auf den Lippen. Zu den Höhepunkten des Films zählt eine Szene, in der er völlig außer sich über die Bahngleise hetzt, um eine Patientin zu besuchen und sich dabei todesmutig wie ein Wiesel zwischen vorbeifahrenden Zügen hindurchschlängelt – großartig dynamisch, lebendig und mitreißend in Szene gesetzt. Sehr schön auch seine immer wieder eingestreuten Lebensweisheiten wie €žGroße Pläne und Hoffnungen lösen sich von selbst auf, wenn man heiratet.€œ
Alles in allem eine wirklich gelungene Verbindung von Komödie und Drama mit sozialkritischen Untertönen. Beeindruckend die durch und durch menschlichen Charaktere mit ihren große und kleinen Schwächen, die sie so liebenswert machen. Für mich ein wunderbarer Auftakt in meine erste Berlinale, der Freude auf mehr machte!