Archive for the ‘Miike Takashi’ Category

13 Assassins

Original: Jūsan nin no shikaku (2010) von Takashi Miike

Wir schreiben das Jahr 1844, als das Oberhaupt einer anerkannten Samuraifamilie rituellen Selbstmord begeht. Er hinterlässt eine Schrift, in der er Fürst Naritsugu (Goro Inagaki), Halbbruder des Shoguns, grausamer Verbrechen anklagt. Dies ist nicht der einzige Skandal, für den Naritsugu verantwortlich ist, doch eine Bestrafung des Fürsten wäre ein nicht akzeptabler Gesichtsverlust für den Shogun. So erhält Shinzaemon Shimada (Koji Yakusho) den Auftrag, eine schlagkräftige Truppe von Samurai um sich zu versammeln und den Fürsten auf der Rückreise von Edo zu ermorden.

13 Assassins Screenshot 1

Wer sich nur ein ganz winzig kleines bisschen mit Jidaigeki auskennt, wird in diesem Film an allen Ecken und Enden Zitate und Hommagen finden. Am auffallendsten sind natürlich die Parallelen zu Die Sieben Samurai: Die Rekrutierung der Kämpfer für Recht und Ordnung; der Ausbau des Dorfes zur Festung, die für Naritsugu und seinen Tross zum Grab werden soll; die Begegnung mit dem draufgängerischen Jäger Koyata, der sich den Samurai anschließt; und natürlich die nicht enden wollende Schlacht am Ende des Films.

Aber hier wurde nicht nur abgeguckt, an vielen Stellen hatte ich den Eindruck dass Miike ganz gezielt dem großen, unerreichten Meisterwerk Kurosawas seine Ehre erweist. So finden sich in 13 Assassins gleich mehrere Szenen, in denen Shimada seinen Samurai (und damit auch uns Zuschauern) anhand einer Karte seine Pläne erläutert oder mit der Karte in der Hand die Arbeiten im Dorf dirigiert, genau wie dereinst Kanbei. Und was passiert in genau dem Moment, als die Samurai zu dem Dorf aufbrechen? Es beginnt zu regnen.

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Darüber hinaus finden sich auch deutliche Parallelen zu Filmen Masaki Kobayashis, allen voran Samurai Rebellion und Harakiri. Nicht nur, dass sich Miike bei der visuellen Gestaltung seines Films an einigen Stellen offenbar von deren strenger Bildsprache inspirieren ließ. Auch die Thematisierung unmenschlicher Machtstrukturen, die es selbstgerechten und selbstverliebten Herrschern erlauben, auf dem Rücken der Menschen jede Laune auszuleben und unendliches Leid zu verursachen ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, stammt ganz offensichtlich aus diesen Filmen und der Atmosphäre der rebellischen 60er Jahre.

Auch hier knüpft 13 Assassins an die Vorbilder an, indem der bis zur Karikatur des grausamen Despoten überzeichnete Fürst nicht die widerstreitenden Moralvorstellungen und Verpflichtungen der Samurai in den Hintergrund drängt. Vielmehr befeuert er den Konflikt, in dem sich sein General Hanbei  (Masachika Ichimura) wiederfindet. Als aufrechter, loyaler Samurai sowie alter Bekannter Shimadas fühlt sich Hanbei ganz den alten Traditionen und Werten von bedingungsloser Treue und Aufopferung gegenüber dem Fürsten verpflichtet, ist aber gleichzeitig entsetzt angesichts der Grausamkeit und der Verbrechen seines Herrn.

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So opfern die 13 Samurai ihr Leben nicht, um Rache zu nehmen oder um ihre Ehre oder die ihres Clans zu schützen, was letztlich selbstbezogenes Handeln wäre und der Bewahrung der bestehenden Traditionen und Strukturen entspräche. Vielmehr kämpfen sie, um großes Leid vom ganzen Land und allen Menschen abzuwenden und scheren sich dabei wenig um Konventionen.

Dafür steht vor allem der Ronin Hirayama, eine wahre Kampfmaschine, der seinen Schützlingen einbläut: „Wenn ihr kein Schwert habt, tötet mit einem Stein. Wenn ihr keinen Stein habt, tötet mit euren Händen“. Aber auch das finale Duell zwischen dem konservativen Hanbei, der seinen Fürsten bis zuletzt verteidigt, und Shimada macht deutlich, dass die 13 Samurai den Bruch mit den Traditionen und die bevorstehende Moderne repräsentieren. Kein Wunder, dass der Film am Ende auf den bevorstehenden Untergang des Shogunats verweist.

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Diese Elemente prägen vor allem die erste Hälfte des Films, in denen die Machenschaften des Fürsten, die politischen Ränkespiele, die Rekrutierung der Samurai und die Vorbereitungen des Angriffs im Zentrum stehen. In der zweiten Hälfte geht es dann recht schnell zur Sache: Nachdem die Samurai im Dorf eintreffen beginnt eine Schlacht, wie es sie in einem japanischen Film wohl noch nie zu sehen gab. Allein die Länge von fast 45 Minuten ununterbrochener Kämpfe dürfte absoluter Rekord sein, dazu kommt ein großer Einfallsreichtum, der Sprengsätze ebenso einbezieht wie Stiere mit Brennsätzen auf dem Rücken.

Trotz der Länge zeichnet sich die Schlacht doch durch eine große Realitätsnähe aus. Damit hebt sich der Film wohltuend ab sowohl von den Gewaltexzessen, die Miike in der Vergangenheit schon abgeliefert hat, als auch von völlig überdrehten Stunts mit scheinbar schwerelos durch die Lüfte fliegenden Helden und aus dem Boden auftauchenden Ninjas. Dass ausgerechnet Miike einen solchen im besten Sinne klassischen Samuraifilm drehen und damit nahtlos an die Hochphase des Genres anknüpfen würde, das hat mich dann doch überrascht.

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13 Assassins ist einfach großartig anzusehen, ein geradezu monumentaler Film der so ziemlich alles enthält, was zum Genre gehört, und davon so viel wie nur möglich. Seine einzige Schwäche ist die mangelnde Identifikation mit den Samurai, weil uns Zuschauern einfach nicht genug Zeit bleibt, um zu mehr als vier oder fünf von Ihnen eine Bindung und Sympathie aufzubauen. Möglicherweise macht sich hier auch die um 15 Minuten gekürzte internationale Fassung bemerkbar, die ich gesehen habe. Angeblich fehlt in dieser nämlich eine längere Bordell-Szene, in der einige der Samurai vor dem Aufbruch in die Schlacht nochmal Dampf ablassen. Aber auch so ist Takashi Miike hier so ziemlich der beste Schwertkampffilm seit Jahrzehnten gelungen.

Blues Harp

Original: Blues Harp (1998) von Takashi Miike

In einer Nacht begegnen sich drei Menschen: Der Yakuza Kenji (Seiichi Tanabe) wird zuerst vom Mundharmonikaspieler Chuji (Hiroyuki Ikeuchi) vor seinen Verfolgern gerettet und dann von Tokiko (Saori Sekino) zusammengeflickt. Chuji hat selbst als kleiner Straßendealer mit den Yakuza zu tun und schnell entwickelt sich zwischen den beiden eine enge Freundschaft. Tokiko und Chuji verlieben sich bei einer erneuten Begegnung und werden ein Paar.

Doch während Chuji rundum zufrieden ist mit seinen kleinen Gigs in Nachtclubs und der Liebe zu Tokiko, zieht es Kenji nach ganz oben. Er intrigiert mit einem verfeindeten Clan gegen seinen eigenen Chef, um in dessen Fußstapfen zu treten. Plötzlich gerät Chuji durch einen Verrat zwischen die Fronten und Kenji muss sich zwischen seinem Freund und seinen ehrgeizigen Zielen entscheiden.

Blues Harp Screenshot 1

Die beiden Freunde könnten in ihrer Lebenseinstellung kaum unterschiedlicher sein. Auf der einen Seite der bescheidene, fast schüchterne und großherzige Chuji, der völlig im Spiel mit der Mundharmonika und der Liebe zu Tokiko aufgeht. Auf der anderen der exzessive, herrische, die Konfrontation suchende Kenji. Miike macht den  Kontrast zwischen ihren beiden Welten auch bildhaft deutlich: Chujis Welt ist farbenfroh, warm, voller Leben und Chaos, während Kenjis Intrigen in der Welt der Yakuza dagegen meist in kalten, reduzierten Bildern gezeigt werden.

Dass am Ende Kenjis konfliktbeladene, vor Gefahren strotzende Welt wie eine Naturgewalt über die heile Welt Chujis hereinbricht und Kenji bis zum Äußersten geht um seinen Freund vor den Konsequenzen zu retten, lässt sich vielleicht dahingehend deuten, dass auch Kenji sich tief drinnen nach einer solchen einfachen, heilen Welt sehnt. Doch ihm ist klar, dass er in einer solchen Welt nichts verloren hat. Das macht eine Szene deutlich, in der er sich  einen Auftritt von Chuji ansieht und sich schon nach wenigen Minuten wieder von Tokiko verabschiedet unter Hinweis auf seinen Anzug und der Entschuldigung, er wäre fehl am Platze.

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Auch wenn Chuji der eigentliche Hauptcharakter des Films ist, bleibt Kenji doch der interessanteste. Es fällt schwer, aus dem verschlossenen Typen schlau zu werden. Seine Zuneigung zu Chuji hat von Anfang an eine ausgeprägte homoerotische Note, die er vor diesem jedoch verbirgt, so als wolle er auch damit dessen Welt vor seinem eigenen zerstörerischen Einfluss schützen. Hier findet sich denn auch die einzige Parallele zu einem weiteren Film Miikes aus dem Jahr 1998, dem sehr viel bekannteren The Bird People in China. Hier entdeckt ebenfalls ein Yakuza etwas, für dessen Schutz er bereit ist, sich aufzuopfern.

Das Ende des Films bleibt offen, mit einem gewissen Interpretationsspielraum. Zudem wird der Film von zwei kurzen Flashbacks am Anfang und Ende eingerahmt, in denen wir Chuji als Kind sehen, einmal mit seiner Mutter und einmal mit seinem mysteriösen Vater. So hat Miike auch in diesem eigentlich so schlichten und geradlinigen Film uns Zuschauern noch ein kleines Rätsel mit auf den Weg gegeben.

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Keine bedeutungsschwangeren Symbole, keine Schockeffekte oder krasse Gewalt, keine durchgeknallten, comic-haften Geschichten: Blues Harp ist einfach ein richtig guter Film mit einer spannend erzählten, intelligenten Story, sympathischen, glaubwürdigen Charakteren (sehr gut gespielt noch dazu) und einem knackigen, urig-rockigen Soundtrack, der die dichte Stimmung des Films wunderbar transportiert. Ein kleiner, wenig bekannter Rohdiamant im frühen Werk das Takashi Miike.

Diese Rezension ist Teil des Japanese Film Blogathon 2010.

Rainy Dog

Original: Gokudo kuroshakai (1997) von Takashi Miike

Von seinem Clan verstoßen, schlägt sich der vereinsamte Yakuza Yujiro (Sho Aikawa) im entfernten Taiwan mit vereinzelten Auftragsmorden durch. Wenn es regnet (und es regnet ständig), verlässt er aus Aberglaube nicht einmal das Haus. Eine Kette von Ereignissen reisst ihn dann jedoch aus seiner selbsterwählten Apathie und Isolation: Zuerst taucht eine frühere Geliebte auf, die ihm ihren taubstummen Sohn aufdrängt. Zwar ignoriert er den Jungen so gut er kann, doch nimmt er ihn schließlich aufs Land mit, wo er einen weiteren Auftragsmord begehen soll.

Dort verbringt Yujiro einige verregnete Tage mit der Hure Lily (Lianmei Chen), bevor er seinen Job erledigt – um sich anschließend zwischen allen Stühlen wiederzufinden, denn sein Auftraggeber verkauft ihn an den rachedürstigen Clan seines Opfers. Zudem ist ihm noch ein mysteriöser Japaner (Tomorowo Taguchi) auf den Fersen. Unversehens entsteht zwischen Yujiro, dem kleinen Jungen und Lily auf der Flucht und im Kampf gegen die Yakuza eine enge, fast familiäre Zuneigung.

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Der zweite Teil aus Miikes nur sehr lose durch gemeinsame Themen und Motive verbundenen Triad Society-Trilogie ist in vieler Hinsicht untypisch für das Enfant terrible des japanischen Films. Tatsächlich wirkt Rainy Dog mit seinen inhaltlichen und formalen Parallelen zu Filmen wie Sonatine oder Kikujiros Sommer eher wie ein Werk Takeshi Kitanos.

Die Kamera hält uns meist auf Distanz zu den Akteuren und abgesehen von der einen oder anderen wackligen Verfolgungsszene nimmt sie eine geradezu stoisch-unbewegliche Haltung an. Die Entwicklung der Beziehungen zwischen den Akteuren wird fast ganz auf die non-verbale Ebene verlagert, allein Lily gibt ab und zu einen Einblick in ihr Seelen- und Gefühlsleben. Yujiro ist völlig verschlossen und der Junge nunmal taubstumm. Gespräche dienen vor allem dem Zweck, die Handlung voranzutreiben. Die augenfälligste Parallele zu den Filmen Kitanos ist aber die zentrale Rolle, die einige Strandszenen für die Entwicklung der Beziehungen der drei zueinander übernehmen.

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Ungewöhnlich für Miike ist auch die Art und Weise, in der Gewalt eingesetzt wird. In seinen bekannten Filmen ist die Gewalt zumeist grotesk übersteigert, wird entweder der Schockeffekte willen oder als stilisierend-ästethisches Element eingesetzt, an der Grenze zur Glorifizierung. Hier aber ist die Gewalt dreckig, alles andere als heroisch oder ästhetisch und sehr realistisch.

Insgesamt ist der ganze Film sehr stimmungsvoll und humanistisch. Miike nimmt sich viel Zeit für seine mit den Härten des Lebens kämpfenden Figuren und geht sparsam mit den durchgeknallt-schrägen Ideen um, mit denen er sonst so gern um sich wirft. Dennoch ist der Film alles andere als vorhersehbar oder mainstreamig, dafür sorgt allein schon die rätselhafte Figur des unbekannten, von Tomorowo Taguchi gespielten Japaners, der mehrfach aus dem Nichts heraus auftaucht und dessen Motivation, Herkunft und Beziehung zu Yujiro bis zuletzt ein ungeklärtes Rätsel bleibt.

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Mich hat Rainy Dog ziemlich beeindruckt, vor allem, weil er ein weiterer Beweis für die schier unglaubliche Vielseitigkeit Takashi Miikes ist. Verglichen mit vielen seiner anderen Filmen ist dieser eher konventionell, aber selbst ein konventioneller Miike ist noch ein außergewöhnlicher Film!

Diese Rezension ist Teil des Japanese Film Blogathon 2010

Original: Sukiyaki Western Django (2007), von Takashi Miike

Miike darf derzeit ja auf keinem japanischen Filmfest fehlen, letztes Jahr lief Big Bang Love auf dem Japanischen Filmfest, jetzt Sukiyaki Western Django, der reichlich Aufmerksamkeit erhielt, auch in den großen Medien. Was nicht weiter verwunderlich ist, schließlich spielt Quentin Tarantino eine kleine Rolle und alle japanischen Schauspieler sprechen englisch – so gut oder schlecht es eben geht.

Die Story ist altbekannt und folgt den Genre-Konventionen: Zwei Banden bekriegen sich in einer kleinen Stadt über einen vermuteten Goldschatz, eine Familie gerät zwischen die Fronten, der Vater wird getötet, die Mutter schließt sich gezwungenermaßen einer der Banden an, der Sohn ist traumatisiert. Da verschlägt es einen mysteriösen, unbekannten Revolverhelden in die Stadt, die Dinge kommen in Bewegung und das Blut beginnt zu fließen.

Leider gab es bei der Vorführung eine kleine Panne, der Film lief mit der falschen Tonspur an (nämlich der japanischen Synchronfassung), so dass wirklich nichts zu verstehen war, denn Untertitel gibts nicht. Nach einer halben Stunde wurde der Fehler korrigiert und wir Zuschauer kamen endlich in den Genuss, Kaori Momoi, Masanobu Ando und all die anderen japanischen Stars, die Miike um sich geschart hatte, auf Englisch radebrechen zu hören. Das und der eine oder andere Gag führten durchaus zu einigen Lachern, alles in allem ist der Film von einer echten Komödie aber weit entfernt, vielmehr ist Sukiyaki Western Django eine einzige Skurrilität.

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Das beginnt schon beim Rückgriff auf den historischen Hintergrund, der aus den Heike Monogatari stammt, in denen der Kampf der Samurai-Clans Taira und Minamoto geschildert wird. Miike bedient sich bis zu den Namen der Hauptkontrahenten der historischen Tatsachen, nur dass Kyomori dann plötzlich zum Showdown mit einer Gatling antritt und Shakespare bewundert. Ein schizophrener Sheriff und ein durch den Verlust seiner Hoden dem Wahnsinn verfallener Samurai mit Irokesen-Schnitt sind weitere Paradebeispiele in Miikes Kuriositäten-Kabinett.

Highlight des Films ist für mich ganz klar Kaori Momoi – die ich bisher nur aus Arthaus-Filmen in anspruchsvollen Rollen kannte – die sich hier als Revolverheldin mal so richtig austoben kann und daran sichtlich Spaß hat. Ansonsten fällt mir nicht viel gutes ein, außer dass der Film handwerklich natürlich sehr gut gemacht ist und nett anzusehen ist, besonders das Finale im Schnee. Aber viele Handlungsstränge und Motive bleiben unklar, der Charakter des Films ist schwer zu bestimmen und wäre wohl am ehesten als groteske Verarsche sowohl des Westerns als auch des Samurai-Genres aufzufassen. Einen tieferen Sinn kann ich nicht erkennen: aufwändige Verpackung, nichts dahinter.

Original: Chugoku no chojin (1998), von Takashi Miike

Nachdem Takashi Miike zuvor vor allem durch seine blutigen Gangster-Filme, allen voran die Triad Society-Trilogie, auf sich aufmerksam gemacht hatte, wandte er sich mit The Bird People in China einem völlig anderen Thema und Stil zu und gab damit eine beeindruckende Kostprobe seiner erstaunlichen Vielseitigkeit. Dieser Film brachte ihm schlagartig auch die Anerkennung von internationalen Kritikerkreisen.

Bird People Screenshot 1

Der Angestellte Wada (Masahiro Motoki) wird von seiner Firma auf die Suche nach einer Jade-Mine tief im ländlichen China geschickt. Kaum angekommen, gerät er an den Yakuza Ujie (Renji Ishibashi), der für seinen Clan, dem Wadas Firma Geld schuldet, Anteile an der Mine sichern soll. Unter Führung des Chinesen Shen (Mako) machen sich der stets übellaunige Ujie und der völlig verunsicherte Wada auf ihre beschwerliche Reise. Diese führt sie von schlaglochübersäten Staubpisten über eine Floßfahrt schließlich steile Gebirgspfade hinauf, bis sie trotz des zwischenzeitlichen Gedächtnisverlustes ihres Führers das Dorf erreichen, in dem sich die Jade-Mine befindet.

Dort werden die beiden Großstadtmenschen nicht nur von der atemberaubenden Natur überwältigt, sondern auch von der einfachen Schönheit des Lebens der Menschen. Besonders Wada ist fasziniert von Si-Chang (Li Li Wang), einer Einwohnerin des Dorfes, die ein Lied singt, dessen Melodie und Text ihm seltsam bekannt vorkommen und die zudem die Kinder des Dorfes im Fliegen unterrichtet. Als Shen sein Gedächtnis zurückgewinnt und somit die Heimreise bevorsteht, kommt es zum Konflikt mit Ujie, der das Dorf, die Menschen und ihre traditionelle Kultur vor der mit der Ausbeutung der Mine verbundenen Ankunft der Zivilisation bewahren will.

Bird People Screenshot 3

Was zunächst wie eine Mischung aus Buddy-Komödie und Abenteuerfilm beginnt, entwickelt sich völlig überraschend in eine tiefschürfende Auseinandersetzung mit Gefühlen, Schuld, Träumen und Fragen nach dem Sinn oder Unsinn unserer modernen, technikversierten Zivilisation. Die grandiosen Naturszenarien der südchinesischen Berge kontrastiert Miike mit dem nur in ganz wenigen Szenen gezeigten Japan, das ausschließlich aus hektischen Menschenmassen, Betonlandschaften und überfüllten Pendlerzügen zu bestehen scheint.

Der Film schweift aber nie in eine unkritische Lobhudelei für Naturschutz oder in einseitige Zivilisationskritik ab. Im Gegenteil zeigt er an Einzelschicksalen deutlich, welche Nachteile das scheinbar so idyllische Landleben der Bauern hat, wo ein einfaches Fieber lebenslange Taubheit nach sich ziehen kann und weist auch darauf hin, dass nur mittels moderner Technologie das Besuchen solcher Idylle möglich ist. Freude und Glück ebenso wie Leid finden sich letztlich in beiden Welten.

Sehr spannend ist jedenfalls auch die Entwicklung der beiden Hauptcharaktere zu verfolgen: Der scheinbar so gewissenlose Ujie wird allnächtlich von Alpträumen und Schuldgefühlen geplagt und überdeckt dies lediglich durch seine Rüpelhaftigkeit, die angesichts der ursprünglichen Natur und Lebensweise der Menschen in einen ausgewachsenen Hass auf all das, was er hinter sich gelassen hat und was er mit Zivilisation verbindet, ausartet. Wada dagegen wächst an den Erlebnissen und an der Auseinandersetzung mit Ujie, wird vom unterwürfigen Angestellten zu einem selbstbewussten Menschen, der für sich (mit Hilfe von Si-Chang) schließlich den Sinn des Lebens findet.

Bird People Screenshot 2

Das Fliegen als ewiger Traum der Menschheit ist das dominante Motiv des Films, der mit den Worten „Ich habe 10.000 Mal geschlafen, aber nie davon geträumt, fliegen zu können wie ein Vogel“ beginnt. Für mich wird dieses Motiv im Film zu einem Symbol für ein erfülltes, glückliches Leben, das sich alle wünschen, wonach alle streben, das aber nicht durch noch so große Anstrengungen sondern nur durch eine bestimmte Lebenseinstellung erreicht werden kann.

Ein großer Teil der Interpretation des Films hängt jedoch von seinem Ende und besonders der faszinierenden Schlussszene ab, die ich hier aber nicht verraten will. Ich werde daher an dieser Stelle der Auseinandersetzung mit dem Film nicht mehr weiter ins Detail gehen – was mir aber zugegebermaßen sehr schwer fällt, er schreit einfach nach einer ausführlichen Interpretation – vielleicht in den Kommentaren?

Zwar ist The Bird People in China wie auch die anderen Miike-Filme, die ich bisher gesehen habe, voller Symbole und Anspielungen, er bleibt dabei aber recht gut zugänglich (kein Vergleich etwa zu Big Bang Love). Der Film ist ein großartiges Werk und in meinen Augen ein absolutes Muss, auch für Cineasten, die von Miikes bluttriefenden Filmen eher abgeschreckt wurden.

Audition

Original: Ôdishon (1999), von Takashi Miike

Tja, Miike hat es mal wieder geschafft, zwei Genres, von denen man eigentlich glaubt, sie würden sich gegenseitig ausschließen, zu einem umwerfenden – und magenumstülpenden – Film zu vereinen, nämlich öde Romanze und krassen Horror.

Jahre nach dem Tod seiner Frau nimmt Shigeharu Aoyama (Ryo Ishibashi) den Vorschlag eines befreundeten Filmproduzenten an, mittels eines Vorsprechens für eine Filmrolle eine Frau für ihn zu suchen. Schnell ist Aoyama von einer Kandidatin fasziniert, die ihrer Bewerbung einen sehr persönlichen Brief beilegte, in dem sie von ihren Erfahrungen mit Verlust berichtet. Nach dem Vorsprechen nimmt er Kontakt mit Asami (Eihi Shiina) auf, die beiden treffen sich wiederholt, finden Gefallen aneinander und verlieben sich.

Doch als die beiden eine gemeinsame Reise machen, das erste Mal miteinander schlafen und Asami anschließend einfach verschwindet, fallen plötzlich immer mehr Schatten auf die junge Frau. Aoyama nimmt ihre Spur auf, entdeckt dabei rätselhafte Morde und verschwundene oder verstümmelte Personen in Asamis Vergangenheit und wird schließlich selbst zum Opfer.

Audition Screenshot 2

Ist die Geschichte des trauernden, mit seinem Sohn zusammenlebenden Witwers auf Freiersfüßen anfangs noch ganz nett zu verfolgen, schleppt sich Audition im zweiten Akt, als Asami und Aoyama sich näher kommen, nur noch zäh dahin. Ich habe nur weitergekuckt, weil ich wusste, dass zum Ende hin noch irgendetwas heftiges passieren musste, und so kam es dann auch… da braucht es wirklich starke Nerven und einen noch stärkeren Magen!

So künstlich und um des reinen Effekts willen die Folterszenen auch wirken, sie sind für den Film und für das Verständnis von Aoyama doch elementar. Entsteht durch sie doch eine Situation, in der Asami aus ihrer Rolle als passives, auf Telefonanrufe wartendes Objekt männlicher Begierde ausbrechen kann und zum aktiven Subjekt wird. Und das auf eine so radikale, perfide Art und Weise, dass trotz der Kritik an Aoyamas frauenverachtendem, fingiertem Vorsprechen, trotz Asamis offenbar furchtbarer Kindheit zu keinem Zeitpunkt auch nur der kleinste Funken von Verständnis für ihr Verhalten (wie bei der Sympathie für den in gleicher Münze zurückzahlenden Underdog) aufkommt.

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Da dieser letzte Akt des Films von zahlreichen Traumsequenzen durchsetzt ist und man schnell den Überblick verliert, was nun Realität ist und was nicht, bleibt viel Raum für Spekulation und Interpretation. Als unverbesserlicher Optimist, der sich für den einsamen Witwer ebenso wie für das schüchterne Mädchen ein Happy-End wünscht, liegt meine Sympathie bei der „es war alles nur ein Traum“-Variante. Und die geht so…

Von dem Moment an, als die beiden in ihrem Hotel miteinander schliefen, geschieht alles weitere nur in Aoyamas Traum. All die makabren Rätsel um Asami bis hin zu seiner Verstümmelung durch sie sind alles Ausdrücke seines gestörten Verhältnisses zu Frauen, das wiederum mit dem Tod seiner Frau zusammenhängt. Immer wieder plagen ihn Gewissensbisse wegen der Instrumentalisierung des Vorsprechens aber auch aus einem grundlegenden Gefühl der Untreue seiner Frau gegenüber.

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Alptraumhafte Sequenzen sexueller Fantasien, in denen seine Putzfrau und die Freundin seines Sohnes auftauchen, deuten ebenso auf dieses schlechte Gewissen hin wie der Umstand, dass Aoyama in allen Szenen schwarz trägt (und Asami weiß). Ein kurzer Moment ganz zu Beginn, als Aoyama zuhause am Schreibtisch die Kandidatinnen für das Vorsprechen durchgeht und dazu das Foto seiner Frau umdreht, macht dies besonders deutlich.

So ist Audition trotz der zwischenzeitlich etwas durchhängenden Story und den zum Ende hin eingesetzten Schockeffekten ein hochinteressantes, vielschichtiges Werk, das neben dem Verhältnis von Mann und Frau und dessen Manipulation durch Macht und Einfluss auch Themen wie Verlust und Tod, Kindesmisshandlung sowie Einsamkeit in unserer modernen Welt anreißt. Man muss Miikes Fähigkeit, unglaublich viel Überraschendes in einen zunächst scheinbar konventionellen Film hineinzupacken und dabei wild Genres durcheinander zu werfen, einfach bewundern!

Original: 46-okunen no koi (2006), von Takashi Miike

Natürlich hatte ich schon viel von Takashi Miike gehört und gelesen, aber Big Bang Love ist tatsächlich meine erste Erfahrung mit einem Miike-Film, da mein Spezialgebiet ja eher die japanischen Klassiker sind. Ich wusste, dass Miike als Workaholic gilt, der auch mal 8 oder 9 Filme pro Jahr dreht, dass ihm ein Hang zum Absonderlichen nachgesagt wird, dass Gewalt in vielen seiner Filmen eine prominente Rolle einnimmt und dass er als einer der genialsten Regisseure der Gegenwart gilt. Entsprechend gespannt war ich auf Big Bang Love.

Der beginnt mit einem Shakespeare rezitierenden Schauspieler allein auf einer Bühne, dann einem kleinen Jungen vor rotem Hintergrund, der ein Mann werden möchte und sich dazu ein Vorbild aussuchen soll. Danach beginnt die eigentliche Geschichte, die sich um Jun (Ryuhei Matsuda) dreht, Kellner in einer Schwulenbar, der wegen der grausamen Tötung eines Kunden ins Gefängnis kommt. Dort trifft er auf den am ganzen Körper tätowierten, zu spontaner Gewalt neigenden Shiro (Masanobu Ando) und erwürgt ihn vorgeblich. Doch warum? Und war er es wirklich oder gab es nicht andere, die Shiro getötet haben könnten?

So entwickelt sich eine schwer durchschaubare Mystery-Geschichte, die angesichts der abstrakten Elemente des Films fast in den Hintergrund tritt: Das Gefängnis besteht aus auf den Boden gezeichneten Zellen wie in Dogville, eine gigantische Pyramide und die Startrampe einer Rakete sind vom Gefängnis aus zu sehen, Sonnenstrahlen durchdringen schlagende Herzen.

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Es gibt ein paar Elemente, die ich zu so etwas wie einer Interpretation zusammenfügen würde; dazu gehören der japanische Originaltitel (übersetzt heisst er soviel wie „460 Millionen Jahre Liebe“), die Pyramide als eines der größten Rätsel der Menschheit und die Geschichte um das unbekannte Motiv für die Ermordung (oder den Selbstmord?) Shiros. Nehme ich diese für die Rätselhaftigkeit des Menschen und die Bedeutung der Liebe stehenden Elemente zusammen, würde ich sagen, dass es in Bing Bang Love um das Rätsel der Liebe schlechthin geht, die Hoffnung und Kraft die sie dem Menschen seit Anbeginn der Zeit gibt und die Möglichkeiten, die sich ihm durch sie eröffnen, aber auch um die Abgründe, in die sie uns stoßen kann.

Das klingt jetzt vielleicht ganz nachvollziehbar, aber genauso gut könnte ich andere im Film vorkommende Symbole herausgreifen, die dieses Konstrukt schnell in sich zusammenbrechen lassen. Da geht es nämlich auch um das Erwachsenwerden (der Junge, der sich ein Vorbild für seine Mannwerdung sucht), um die Suche nach der eigenen Identität (Shiro, der mal mit Tätowierung zu sehen ist und dann wieder ohne) und vieles mehr.

Nachdem ich Big Bang Love gesehen und mir den Kopf darüber zerbrochen habe, habe ich natürlich auch viele andere Kritiken gelesen. Mein Eindruck war, dass jeder den Film irgendwie gut findet, mit großen Worten die Gründe dafür zu erklären versucht, aber niemand genau sagen kann woran es letztlich liegt. Und dass niemand den Durchblick, den Schlüssel zu all diesen Symbolen und Metaphern gefunden hat und ihre Beziehung zu den Charakteren und der Haupthandlung in einen sinngebenden Gesamtkontext einordnen kann. Am besten, du siehst dir Big Bang Love selbst an, denn das ist definitiv ein Film, der in jedem Zuschauer etwas anderes bewegen und andere Gedanken hervorbringen kann. Und allein deshalb ist er gut und sehenswert!

Wer sich noch alles keinen Reim auf den Film machen konnte: midnighteye, Der Tagesspiegel, Filmstarts, Asianfilmweb, Berlinaleblog, plomlompom, filmkritiken.org, Heroic-cinema.