Vier Filme, einer besser als der andere. Und eine Serie, die noch weit über das hinausgeht, was in einem Film möglich wäre. Am Wochenende habe ich Paranoia Agent endlich gesehen und war komplett hin und weg. Ich bin ja eigentlich eher kein Animeserien-Gucker und ziehe normalerweise Filme vor. In diesem Fall ist aber ganz klar, dass das Serienformat Dinge möglich macht, die in einem Film niemals funktionieren würden. Dazu und zu Paranoia Agent als solches demnächst noch ausführlichere Gedanken, heute gehts mir nur um das Opening, das regelmäßig als eines der besten Openings aller Zeiten genannt wird:
Das Ding ist schlicht ein massiver Knaller und wurde und wird in Foren und Blogs hoch und runter diskutiert und interpretiert, was eigentlich schon Beleg genug wäre für die Genialität des Meisters Kon. Wenn man sich allerdings dann noch vor Augen führt, mit welch einfachen Mitteln hier beeindruckende emotionale Effekte erzielt werden (laut Aussage des Regisseurs im Audiokommentar wurden weniger als 100 Cels für das gesamte Opening benötigt!) wird einem erst so richtig klar, was ein verdammtes Genie dieser Satoshi Kon doch ist!
Zu den ganzen Debatten und Spekulationen um das Opening und dessen tiefere Bedeutung sagte er übrigens: „Je mehr man analysiert und interpretiert, ohne über die vollen Informationen zu verfügen, um so mehr entfernt man sich vom Kern der Wahrheit.“
Noch so ein Fünkchen Genialität.
18 Jul
Von einer lieben Freundin habe ich über facebook den Tipp bekommen, dass 3sat vom 20. bis 29. Juli eine Animationsfilmreihe zeigt. Neben Hayao Miyazakis Das wandelnde Schloss (24. Juli) läuft auch noch Mamoru Hosodas Das Mädchen, das durch die Zeit sprang in der deutschen Erstausstrahlung (21. Juli).
10 Jul
Original: Summer Wars (2009) von Mamoru Hosoda
Eigentlich hat Kenji schon einen Ferienjob als Systemadministrator bei dem riesigen Social Network „Oz“. Doch als die Schulschönheit Natsuki noch eine Aushilfe sucht, lässt er sich nicht zweimal bitten und begleitet sie aufs Land zu ihrer weitläufigen Familie, die den 90. Geburtstag der Oma feiert. Dort stellt sich allerdings heraus, dass sein Job darin besteht, Natsukis Freund zu spielen. Nach ein bisschen Sträuben lässt er sich natürlich breit schlagen und genießt dann auch das turbulente Familienleben.
Doch das böse Erwachen folgt am nächsten Morgen, als sich herausstellt, dass Kenjis „Oz“-Account gehackt wurde und nun Amok läuft: Reihenweise schluckt er andere Accounts und greift mit deren Rechten auf allerlei Systeme zu, von Ampelanlagen über GPS-Satelliten bis zu Herzschrittmachern. Die Welt droht, im Chaos zu versinken. Doch Kenji und seine „neue Familie“ stemmen sich mit allen Mitteln der künstlichen Intelligenz entgegen, und dabei kommen sich natürlich auch Kenji und Natsuki näher.
Summer Wars ist Unterhaltung im allerbesten Sinne: Der Film legt gleich mit der berauschenden Bilder- und Bewegungsflut von „Oz“ los, doch bevor wir von all den Eindrücken überwältigt werden, nimmt Hosoda Tempo raus und stellt uns erstmal unsere Helden vor. Dann gehts gleich wieder mit Vollgas weiter in die nächsten Temposzenen, bevor wir dann Natsukis Familie kennenlernen. Man muss diese rhythmischen Wechsel, die uns einerseits mitreißen und die Zeit wie im Fluge vergehen lassen (Laufzeit fast 2 Stunden), dazwischen aber viele Gelegenheiten zum Innehalten bieten und schon fast eine besinnliche Stimmung bieten, einfach bewundern.
Einziger Wermutstropfen für den nicht-japanischen Zuschauer ist das Finale, in dem Natsuki mit dem gehackten Monster-Account um die Zukunft der Welt spielt – und zwar eine Partie Hanafuda, ein japanisches Kartenspiel. Wer dieses Spiel nicht kennt, was wohl für die meisten westlichen Zuschauer zutrifft, dem entgeht leider ein Stück der Spannung und des Mitfieberns.
Auch wenn der Film in erster Linie unterhalten will, ist er aber alles andere als platt. Es werden eine Reihe von wichtigen, ernsten Themen angeschnitten und die fließende Verknüpfung der „realen“ Welt im Film mit einem Social Network, wie es in ein paar Jahren durchaus vorstellbar wäre, bietet reichlich Gedankenanstöße. So gibt es eine Sequenz, in der Natsukis Oma mit Hilfe ihrer weitverzweigten Familienverhältnisse sowie alter Freunde und Bekannten – also mit einem Netzwerk der alten Schule – in all das durch den Zusammenbruch des virtuellen Netzwerks verursachte Chaos etwas Ordnung zu bringen versucht.
Was mich – als jemand der in der Branche tätig ist – an der Umsetzung von „Oz“ besonders begeistert hat, war der einerseits sehr spielerische, zugleich aber absolut realistische Umgang mit dem Thema. Wie wir als Zuschauer und „neu registrierte Mitglieder“ am Anfang des Films abgeholt werden und die Funktionsweise dieser virtuellen Welt erklärt bekommen, davon könnte sich so manches real existierende Social Network eine Scheibe abschneiden! Auch wie die spielerische Nutzung, die für die meisten Menschen bei Social Networks im Vordergrund steht, mit den sehr ernsten Konsequenzen von Ereignissen in der virtuellen Welt für das reale Leben kontrastiert wird, zeugt von einem durchdachten Umgang mit diesem hochaktuellen Thema. Die Ernsthaftigkeit bleibt aber angesichts der unfassbar vielen, liebevoll-kreativen Details stets im Hintergrund.
Was im Vergleich zu Hosodas vorangegangenem Film Das Mädchen, das durch die Zeit sprang jedoch fehlt, sind die wunderbar ausgeformten Charaktere. Dafür bleibt in Summer Wars bei all dem drunter und drüber, der Faszination der virtuellen Welt in „Oz“ und der Vielzahl an zwar sympathisch-schrägen, aber doch ziemlich oberflächlichen Charaktere schlicht keine Zeit mehr. Es sind zwei völlig verschiedene Filme und beide sind auf ihre Art sehr sehr gut gemacht. Das spricht eindeutig für das Können von Mamoru Hosoda, von dem wir angesichts seines Alters von 42 Jahren noch einiges erwarten dürfen.
29 Jun
Vor ein paar Monaten fiel mir der links abgebildete Bildband in die Finger – möglicherweise bei 2001? Ich weiss es nicht mehr. Ohne lange nachzudenken packte ich das Buch ein, es war günstig und stammte schließlich aus der Feder von Stuart Galbraith IV., einem anerkannten Experten für japanische Filme und Autor der epischen Kurosawa-Mifune Doppelbiografie The Emperor and the Wolf. Zudem war das Werk im Taschen-Verlag erschienen und zwar neben dem englischen Original auch in einer deutschen Fassung! Zusammen mit den bei Taschen obligatorischen schönen Bildern klang das nach einem potenziellen Standardwerk für den deutschen Markt. Doch groß war meine Enttäuschung, als ich das Buch kürzlich aus dem Regal hervorholte und zu lesen begann.
Gleich auf der ersten Seite, neben dem Inhaltsverzeichnis, fand ich den Vermerk:
Umschlagvorderseite: Standbild aus „Abe Sada“
Autsch. Jedem, der sich auch nur ein bisschen mit japanischen Filmen beschäftigt hat, dürfte auffallen, dass das auf der Umschlagvorderseite abgebildete Standbild aus der oscargekrönten Samurai-Trilogie mit Toshiro Mifune stammt. Ok, dachte ich mir, das kann jedem mal passieren. Nur leider „passieren“ derartig haarsträubende Fehler in diesem Buch immer wieder.
Sehr ärgerlich und verwirrend ist auch die Praxis, die Filmtitel konsequent ins Deutsche zu übersetzen, auch wenn es gar keinen deutschen Verleihtitel gibt und sich stattdessen der internationale, englische Titel eingebürgert hat. Da wird dann plötzlich von einem Film namens „Auf ein Neues, reflorierte Jungfrau!“ gesprochen, bei dem man schon einiges an Assoziationsvermögen braucht um darauf zu kommen, dass Go, go, second time virgin gemeint ist.
Nicht nachvollziehbar ist für mich auch die Einteilung in die Kapitel, die völlig konzeptionslos wirkt. Nach der Einleitung, in der ein paar Worte zur Frühphase des japanischen Films fallen und die zunächst eine chronologische Struktur andeutet, folgt das Kapitel „Japan über Japan“. Eigentlich eine interessante Idee, Filme herauszustreichen, in denen die Filmemacher das eigene Land, die eigene Geschichte und Lebensweise reflektieren, wie etwa Ozus Werke oder die berühmten Antikriegsfilme der 1950er von Kon Ichikawa und Masaki Kobayashi. Doch dann kommt als nächstes Kapitel „Bedeutende Filmemacher der 1950er und 1960er Jahre“. Als drittes Ordnungskriterium werden dann im nächsten Kapitel „Komödien, Musicals & Liebesgeschichten“ auch noch Genres eingeführtes. Besonders abenteuerlich wird es im Kapitel „Fahrt zur Hölle, ihr Bastarde“, in dem die frühen Kriminalfilme Kurosawas mit den psychedelischen Gangsterepen von Seijun Suzuki und modernen Actionfilmen wie Battle Royale zusammengeworfen werden. Und alle Filme der letzten 20-30 Jahre scheinen pauschal als die Zweite Nouvelle Vague eingeschätzt zu werden im gleichnamigen Kapitel, das den Abschluss des Buches bildet.
Bei diesem heillosen Durcheinander von Genres, Epochen, Filmemachern und Themen muss man eines jedoch anerkennen: Das Buch versucht, einigen Filmen bzw. Genres, die in der Literatur bisher kaum Erwähnung fanden, eine größere Aufmerksamkeit zukommen zu lassen, namentlich Komödien und Musicals der 50er und 60er. Doch leider zeigt sich hier gleich noch ein weiteres Problem des Buchs, nämlich dass ca. drei Viertel der knapp 200 Seiten von (teilweise wirklich sehr schönen) Bildern eingenommen werden. So kommt es, dass beispielsweise das Kapitel zu Anime bei all den Abbildungen nur etwa 4 Seiten Text enthält und somit nicht viel mehr Erläuterungen und Informationen vermitteln kann als ein ausführlicher Zeitungsartikel. So muss das Buch sich natürlich im Kratzen an der Oberfläche erschöpfen, zumal ja alle Themen, Genres und Epochen mal angerissen sein wollen.
Kann ich das Buch wenigstens dem interessierten Neuling empfehlen? Eigentlich nicht, jedenfalls nicht guten Gewissens, angesichts der eingangs erwähnten inhaltlichen Fehler und der verwirrenden Filmtitel. Außerdem fehlt ein Register zum Nachschlagen der erwähnten Filme und Filmschaffenden. Letztlich taugt das Buch vor allem zum Blättern und Bildergucken, was mir wirklich unerklärlich ist angesichts des Formats und der Expertise des Autors. Ich kann mir dieses Debakel nur mit einer völligen Fehlkonzeption seitens des Verlags erklären. Schade, da hätte man so viel mehr draus machen können!
26 Jun
Huh, wie schnell die Zeit vergeht bei schönem Wetter und Fußballfieber! Aber bevor die WM richtig Fahrt aufnimmt, versuche ich mich noch an einem Fazit zum nunmehr schon einige Wochen zurückliegenden 11. JFFH, bei dem ich leider so wenig Filme zu sehen bekommen habe wie noch nie zuvor 🙁
Außer Konkurrenz lief für mich natürlich Rashomon, der auf der großen Leinwand große Freude gemacht hat. Obwohl die Kopie unübersehbar alt war, war die Qualität dennoch ok. Lediglich die Untertitel waren teilweise schwer zu lesen, und auf der zweiten Filmrolle ließ die Tonqualität stark nach. Das tat der Faszination, die dieser Film auch beim x-ten Sehen ausübt, aber keinen Abbruch. Nach der Vorstellung wurde ich dann noch von einem älteren Herrn angesprochen, der vor 40 Jahren den Film im Kino gesehen hatte und regelrecht euphorisiert war, dass er nochmal die Gelegenheit hatte.
Der Yamaguchi-Fokus bestehend aus insgesamt drei Filmen bot Licht und Schatten: Während Der Beweis des Detektivs mich nicht überzeugen konnte, war ich von den beiden jüngeren Kurzfilmen sehr angetan. Sehr ruhig und einfühlsam mit einem guten Händchen für Stimmungen und Atmosphäre inszeniert.
Darüber hinaus habe ich nur noch vier weitere Filme gesehen, die waren aber alle top! Bereits vorgestellt habe ich All to the sea und Black Cat, demnächst muss ich mich auch noch an die beiden anderen machen. Ich vergebe zwar keine Sterne oder Punkte wie Marald in seinem Kommentar, aber der Tendenz nach schließe ich mich ihm an was die besten Filme vom JFFH2010 angeht:
1. Sad Vacation
2. Summer Wars
3. All to the sea
4. Black Cat
Eine ganze Reihe der Filme, die ich mir eigentlich vorgenommen hatte, habe ich verpasst. Zum Teil krankheitsbedingt, zum Teil habe ich mich kurzfristig umentschieden oder bei der Orga mit angepackt. Die hat auch dieses Jahr wieder großen Spaß gemacht und ich glaube, dass uns ein wirklich schönes Filmfest gelungen ist.
Besonderes Highlight war (wieder mal) das Filmfrühstück im 3001, das trotz aufziehenden Nieselregens ausverkauft war und dank dem ich jetzt den Dreh fürs Onigiri-in-Dreiecksform-Kneten richtig gut raushabe. Ist eigentlich ganz einfach, es kommt wie beim Golfen vor allem auf den Swing an, und natürlich muss man ordentlich in den Reis reinspucken! Kleiner Scherz 😉
Die Dinger waren wohl so lecker, dass die ca. 15 Platten, die wir den ganzen Morgen über geknetet haben, ratzfatz leer waren. Siehe obiges Beweisfoto mit vereinsamtem Tofu. Auch sonst lief eigentlich alles wie geschmiert, ohne größeren Pannen oder Probleme. Ein großer Fortschritt war natürlich das erstmals eingesetzte Ticketingsystem, das wir uns von anderen Hamburger Filmfestivals ausleihen konnten. Theoretisch wäre es damit wohl sogar möglich, Tickets über die Festival-Webseite zu verkaufen…mal sehen, was die Zukunft bringt!
9 Jun
OK, der Titel für diesen Artikel fiel mir am Wochenende ein, aber auch wenn er heute nicht so ganz passen will, gibt er die Richtung für die nächsten Wochen vor. Denn es stehen DVDmäßig ein paar echte Leckerbissen an (und das Wetter wird hoffentlich auch wieder besser).
Das französische Label blaqout legt nach seiner Ende letzten Jahres erschienen ersten Box mit 4 Filmen des altgedienten Regierebellen Koji Wakamatsu nun die zweite Box (ebenfalls 4 Filme) auf, und die kommt tatsächlich mit englischen Untertiteln! Detaillierte Infos und vorab-Screenshots hat Michael auf Wildgrounds zusammengestellt, bestellen könnt ihr die am 6. Juli erscheinende Box z.B. bei Amazon.fr zum Preis von 44,99 Euro.
Letzte Woche erschien eine deutsche DVD-Ausgabe von Merry Christmas Mr. Lawrence. Der Klassiker von Nagisa Oshima mit David Bowie und Takeshi Kitano in den Hauptrollen kommt mit deutschen Untertiteln und deutscher Snychro und wurde in der Arthaus-Reihe aufgelegt, ist also für kleines Geld zu haben. Um genau zu sein: Für 11,99 Euro.
Amazon UK verschleudert gerade wieder Anime-DVDs, darunter z.B. Ghibli-Filme für um die 6-7 Pfund, oder Filme von Satoshi Kon für weniger als 4 Pfund. Ja, wirklich! Millennium Actress, ein grandioser Film, ist für 3,31 Pfund zu haben, das sind nach aktuellem Umrechnungskurs lachhafte 4 Euro und 1 Cent! Außerdem gibts natürlich noch jede Menge Serien, alles in allem 388 Angebote.
Zu guter Letzt noch die nicht mehr so ganz neue Neuigkeit, dass Criterion eine erste Auskopplung aus der massiven AK100-Box vorlegt: The First Films of Akira Kurosawa wird in der Eclipse-Reihe erscheinen und die vier ersten, während dem Krieg entstandenen Filme des großen Meisters enthalten. Die Box ist für den 3. August geplant und soll 59,95 US-$ kosten.
7 Jun
Original: Subete wa umi ni naru (2009) von Akane Yamada
Selbst in unserer emanzipierten Gesellschaft gibt es noch ein paar Jobs, die bis heute Männerdomänen geblieben sind. Dazu gehört auch der des Regisseurs, so dass es meist eine besondere Erwähnung wert ist, wenn sich mal eine Frau auf den Regiestuhl setzt. Schade eigentlich. Woran das wohl liegen mag, dass sich Frauen bis heute so schwer damit tun? Liegt es vielleicht am hohen Druck in der Filmindustrie? Aber ich schweife ab. All to the sea ist jedenfalls einer dieser wenigen Filme, die von einer Frau gedreht wurden und wenn ich mich nicht irre ist es sogar der erste, den ich hier vorstelle.
Die Geschichte dreht sich um Natsuki (Eriko Sato), die in einer Buchhandlung für die Literaturecke zuständig ist und dort mit besonderer Freude Bücher rund um die Liebe präsentiert. Das macht sie so gut, dass ein Verlagsagent auf sie aufmerksam wird und sie Rezensionen zur Vermarktung neuer Bücher schreiben lässt. Nebenbei gehen die beiden auch noch miteinander ins Bett.
Doch dann macht Natsuki einen folgenschweren Fehler: Sie unterstellt einer Kundin ungerechtfertigterweise Ladendiebstahl, worauf sie und ihr Chef die Kundin zuhause besuchen, um sich zu entschuldigen. Dort treffen die beiden auf eine völlig kaputte Familie, deren Vater auf Schmerzensgeld drängt. Kurz darauf taucht der Sohn Koji (Yuya Yagira) jedoch bei Natsuki im Laden auf, entschuldigt sich für seinen Vater und beichtet, dass seine Mutter zwanghaft stehle. Natsuki ist vom Mut und der Aufrichtigkeit des Jungen beeindruckt und die beiden kommen sich schnell näher.
Regisseurin Yamada, die hier ihren eigenen Roman verfilmte, erzählt eigentlich gleich mehrere Geschichten in einer. Dazu gehört, dass die beiden Hauptcharaktere mit großem Einfühlungsvermögen und vielen kleinen Details ausgestaltet und von den beiden Darstellern wunderbar zum Leben erweckt werden. So erzählen beide ihre eigene Geschichte, die bei Koji viel mit den Schwierigkeiten eines Außenseiters in der Schule und bei Natsuki mit dem Verwechseln von Liebe mit Sex zu tun hat.
Was die beiden verbindet ist ihre Einsamkeit, deren Überwindung das zentrale Thema das Films darstellt. Zunächst führt dieses Thema die beiden zusammen, sie sehen sich selbst im jeweils anderen, machen sich gegenseitig Mut und bauen so ihre Freundschaft auf. Dann müssen sie jedoch erkennen, dass sie unterschiedliche Wege beim Umgang mit der Einsamkeit gehen, was ihre Freundschaft auf eine harte Probe stellt.
Eine weitere zentrale Rolle spielt im Film der Literaturbetrieb, verkörpert in der Figur des Agenten. Dieser wird als oberflächlich, egozentrisch und allein am materiellen Erfolg orientiert dargestellt und schreckt nicht davor zurück, aus Marketinggründen einen verzweifelten Autor dazu zu bringen, das Ende seines Buches zu ändern. Die Parallelen zum Filmbusiness sind nicht zu übersehen, so dass sich Yamadas Kritik fast eins zu eins übertragen lässt. Sie selbst bleibt jedoch standhaft und verpasst All to the sea ein unerwartetes, unkonventionelles und offenes Ende.
Für mich war dieser Film ein absolutes Highlight beim JFFH2010! Er widmet sich zwar sehr ernsten Themen, wird dabei aber nie verkopft, ganz im Gegenteil sind immer wieder lustig-skurrile Momente eingestreut. Anspruchsvolle Unterhaltung vom Feinsten!
1 Jun
Original: Kuroneko (2009) von Shutaro Oku
Eigentlich hatte ich gar nicht geplant, diesen Film auf dem JFFH2010 zu sehen, denn parallel lief Die Sieben Samurai. Dann habe ich aber kurzfristig die Ansage im Kino übernommen und wurde sehr positiv überrascht, gerade weil es sich nicht um einen „normalen“ Film handelt.
Regisseur Shutaro Oku war neben Black Cat noch mit USB, einer sehr gesellschaftskritischen Aufarbeitung eines Störfalls in einer japanischen Atomanlage, auf dem Filmfest vertreten. Dass Oku ein sehr kritischer Geist ist, ist auch an Black Cat nicht zu übersehen: Die literarische Vorlage (Edgar Allan Poes Kurzgeschichte Die schwarze Katze) reicherte er um eine ganze Reihe aktueller Themen an, von skrupellosen Immobilienhaien über die Ausbeutung von Arbeiterinnen bis zu Tricksereien um Organspenden.
Dazu verlegt er die Geschichte nicht nur in die Gegenwart, sondern er macht aus dem gewalttätigen Trunkenbold in Poes Geschichte die alleinstehende Machiko (Ayako Fujitani), die in Armut lebt und ihr Kind offenbar bei einem Verkehrsunfall verlor (ganz sicher bin ich mir da allerdings nicht, diese Episode könnte auch in ihrer Wahnvorstellung stattgefunden haben). Noch dazu muss sie um ihre Unterkunft in einem alten, heruntergekommenen Vorkriegsbau kämpfen, den die Besitzerin abreißen und durch schicke Apartmenthäuser ersetzen will. Unterstützt wird Machiko von einem Polizisten, den die Besitzerin eigentlich mit der Aufklärung eines Brandanschlags auf ihr Büro und dem rätselhaften Tod einer schwarzen Katze beauftragt hat. Außerdem taucht ein Fotograf auf, der von den Wänden alter Gebäude und Fabrikanlagen fasziniert ist und sich für Machiko zu interessieren beginnt.
An einigen Stellen ist es nicht ganz einfach, der Handlung zu folgen, denn Black Cat ist wie gesagt kein „normaler“ Film, sondern vielmehr eine abgefilmte Theateraufführung. Die Schauspieler agieren auf einer Bühne, Szenenwechsel werden durch veränderte Hintergründe und rearrangiertes Mobiliar verdeutlicht, im Vordergrund sind manchmal die Köpfe von Zuschauern zu sehen.
Doch Black Cat ist auch kein „normales“ Theaterstück, von dem einfach nur ein Mitschnitt angefertigt wurde. Regisseur Oku versuchte statt dessen, typische filmische Elemente in die Theaterfassung einfließen zu lassen und ging dabei sehr raffiniert vor. Spannend sind beispielsweise die Szenenbilder, die überwiegend aus Projektionen bestehen. Für diese Projektionen wurden immer wieder kurze Filme verwendet, so z.B. in einer Szene die in einer Straßenbahn spielt und in der im Hintergrund eine vorbeirauschende Stadtlandschaft an die Wand geworfen wurde.
Sehr clever gelöst fand ich auch die gleichzeitige Einblendung von zwei Schauspielern mittles Überblendung, so dass eine Person groß im Vordergrund erscheint und die andere klein im Hintergrund – im Film gang und gäbe, im Theater unmöglich. Ein weiteres vom Film übernommenes Element ist der Soundtrack, der in zahlreichen Szenen sehr effektvoll zum Einsatz kam.
In der Frühzeit des japanischen Films war das Abfilmen von Theaterstücken weit verbreitet, da die neue Technologie des Films in Japan zunächst als Weiterentwicklung des Theaters begriffen wurde und nicht wie im Westen als Weiterentwicklung der Fotografie. Erst um 1915 herum hatte sich das Kino als eigenständige Kunstform mit ihren neuen Erzähltechniken und -normen durchgesetzt. Anders als damals, als vorwiegend klassisches japanisches Theater wie Kabuki gefilmt wurde, ist Black Cat allerdings durch und durch an westlichen Theatertraditionen orientiert – soweit ich als Theaterlaie das beurteilen kann.
Ich habe leider noch nie eine solche alte Filmvariante eines Kabukistücks gesehen und es würde mich sehr interessieren, ob damals ähnlich mit den technischen Möglichkeiten experimentiert wurde wie es Oku hier macht. Denn dass ein fruchtbarer und spannender Austausch zwischen beiden Kunstformen durchaus möglich ist, dafür ist Black Cat ein eindrucksvoller Beleg.