16 Nov
Geboren am 27. März 1924 ist Hideko Takamine eine der letzten noch lebenden großen Legenden des japanischen Films. Da sie ihr Filmdebut mit nur 5 Jahren gab (in Haha) und sich während der dreißiger Jahre zu einem immens populären Kinderstar entwickelte, hatte sie bereits früh die Gelegenheit, mit großen Regisseuren wie Yasujiro Ozu, Heinosuke Gosho oder Kajiro Yamamoto zusammenzuarbeiten. Eine große Hauptrolle spielte sie dann auch in Yamamotos Uma, zugleich der letzte Film in dem Akira Kurosawa als Lehrling Yamamotos die Regieassistenz übernahm. Einige Jahre später sollte sie nochmals eine kurze, aber schicksalhafte Begegnung mit Kurosawa haben: Sie machte ihn bei einem Casting auf einen jungen, außergewöhnlich talentierten Bewerber namens Toshiro Mifune aufmerksam.
Im weiteren Verlauf der 40er Jahre war Takamine sehr aktiv, drehte 4-5 Filme pro Jahr und etablierte sich als einer der größten Stars Japans. 1951 spielte sie die Hauptrolle in Japans erstem Farbfilm Carmen kehrt heim unter der Regie Keisuke Kinoshitas, für den sie drei Jahre später auch die Rolle der Lehrerin in 24 Augen übernahm – wohl einer der populärsten Filme in Japan bis zum heutigen Tag, vergleichbar nur mit Klassikern wie Casablanca oder Vom Winde verweht.
1955 heiratete Hideko Takamine den Regisseur Zenzo Matsuyama, setzte darauf hin aber – untypisch für die damalige Zeit – ihre Schauspielkarriere jedoch fort. Gerade zu dieser Zeit begann auch erreichte ihre lange und von vielen herausragenden Filmen gekennzeichnete Zusammenarbeit mit Mikio Naruse den Höhepunkt, nachdem sie bereits in den frühen vierzigern Rollen in drei seiner weniger bekannten Filme gespielt hatte. Beginnend mit Inazuma spielte sie in einem guten Dutzend seiner wichtigsten und besten Filme und gab dabei meist starke, aufrechte Frauen, die aber durch familiäre Verpflichtungen, gesellschaftliche Konventionen oder aussichtslose Beziehungen zu schwachen Männern daran gehindert werden, sich selbst zu verwirklichen und ein glückliches Leben zu führen. Typische Beispiele dafür wären etwa Floating Clouds, Yearning und natürlich When a woman ascends the stairs.
Ab den 60ern spielte sie dann fast ausschließlich nur noch in Filmen Naruses oder ihres Ehemannes. Eine nennenswerte Ausnahme davon bildete ihr letzter Film Shodo satsujin musuko yo, für den sie 1979 noch einmal unter Keisuke Kinoshitas Regie vor die Kamera trat und für einen Award der japanischen Academy nominiert wurde.
Nachtrag: Hideko Takamine starb am 28. Dezember 2010 im Alter von 86 Jahren an Lungenkrebs.
Ein kleiner Auszug der wichtigsten ihrer mehr als 150 Filme:
1929: Haha
1931: Tokyo Chorus
1937: Hanakago no uta
1938: Tsuzurikata kyoshitsu
1941: Uma
1950: The Munekata Sisters
1951: Carmen kehrt heim
1952: Inazuma
1954: 24 Augen
1955: Floating Clouds
1956: Flowing
1960: When a woman ascends the stairs
1964: Yearning
1966: Hikinige
1979: Shodo satsujin musuko yo
9 Nov
Original: Tokyo orimpikku (1965) von Kon Ichikawa
Kurz nach Beginn des Einmarsches der Athleten ins Olympiastadion gibt es zwei besonders herausgehobene Momente: Der Auftritt der Delegationen aus Camerun und dem Congo, die zum ersten Mal nach der Befreiung aus der europäischen Kolonialherrschaft an Olympischen Spielen teilnehmen; und die vereinte deutsche Mannschaft, bestehend aus Athleten der DDR und der BRD, die gemeinsam an diesen Spielen des Friedens teilnehmen. Dieser völkerverbindende, friedliche Geist prägt Kon Ichikawas dreistündigen Dokumentar-Epos über die Olympischen Spiele in Tokyo 1964, weshalb er auch so wunderbar zu diesem 20. Jahrestag des Mauerfalls passt.
Als Fest der Menschen und der Völker will Ichikawa seinen Film ganz offensichtlich verstanden wissen, die Ankunft der Athleten schon am Flughafen wird in vielen dynamisch geschnittenen Einstellungen festgehalten, unterstrichen von einem euphorischen Kommentator, der ein bisschen wie ein guter alter Radioreporter klingt. Diese Stimmung zieht sich durch den ganzen Film, von der Eröffnungszeremonie, über eine kurze Episode in der Kantine des olympischen Dorfs bis zur Abschlussfeier.
Neben Internationalität und Völkerverständigung stellt Tokyo Olympiad noch ein weiteres, zentrales Motto der Spiele in den Mittelpunkt: Dabei sein ist alles. Anders als in Sportdokumentationen (und in Sportfilmen sowieso) meist üblich, lernen wir nicht nur die Sieger kennen, denn alle Athleten verdienen gleichermaßen unsere Anerkennug und unsere Bewunderung. So auch der gestürzte Radfahrer, der irische Marathonläufer, der am Rand der Strecke zusammensackt oder die unbekannte Sportgymnastin, denen genausoviel oder sogar mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als Don Schollander, der vier Goldmedaillen gewann.
Exemplarisch für dieses Bestreben Ichikawas, die olympischen Spiele vor allem als eine friedliche Begegnung der Menschen aus aller Welt darzustellen, bei der jeder sein Bestes gibt, steht der junge Sprinter Isa aus dem Tschad, ebenfalls eine gerade erst aus der Kolonialisierung entlassene Nation. Er ist der einzige Athlet, dessen Geschichte in einer kurzen Episode aus einer persönlichen Perspektive erzählt wird und durch dessen Augen wir einen Blick auf die Spiele werfen. Aber dann zieht die Kamera auch schon weiter, die Schwimmwettbewerbe stehen schließlich an und Judo und Volleyball und und und…
Das Volleyballfinale der Damen zwischen der Sowjetunion und Japan ist sicherlich einer der Höhepunkte des Films. Die kurze Zusammenfassung des Matches hat alles zu bieten, was Sportberichterstattung ausmacht: Spannung, atemberaubende Zeitlupen, Dynamik, kleine Heldentaten und natürlich Tränen der Freude und der Enttäuschung, als die Japanerinnen den sechsten Matchball endlich verwandeln.
Weitere herausragende Momente aus sportlicher Sicht wären das Radrennen, der Stabhochsprung, das Judomatch bei dem der japanische Weltmeister (und Favorit) spektakulär vom Belgier Geesink besiegt wird und – natürlich – das 100-Meter-Finale der Männer, das Ichikawa in einer brillanten Zeitlupensequenz einfängt. Das große Finale des Films in sportlicher wie spiritueller Hinsicht ist aber der Marathonlauf, der fast 25 Minuten einnimmt und regelrecht einen Film im Film darstellt.
Mittels Hubschrauberflug über die Hochautobahn quer durch Tokyo, die für den Marathon gesperrt wurde, werden wir an die Herausforderung herangeführt, beim Start werden uns einige der Protagonisten vorgestellt. Dann beginnt das Spektakel, das innerhalb weniger Minuten eine ganze Reihe menschlicher Dramen und Triumphe schildert: Der bereits erwähnte, am Streckenrand zusammengebrochene Läufer, ein Läufer der barfuß (!) unterwegs ist, die ersten Erfrischungsstopps und dann der Triumphlauf Abebe Bikilas aus Äthiopien, der nach Rom zum zweiten Mal die Goldmedaille gewinnt und dabei zugleich seinen eigenen Weltrekord verbesserte. In einer minutenlangen Sequenz sehen wir nur ihn, ganz allein auf der Strecke vor dem Hintergrund des grauen Asphalts, wie er in Zeitlupe einen Kampf mit sich selbst austrägt. Und siegt.
So abwechslungsreich wie die sportlichen Höhepunkte des Films sind auch die cineastischen Mittel, die Ichikawa einsetzt. Es finden sich viele Bilder, die für eine Sportdokumentation erstaunlich minimalistisch sind, wie etwa die Screenshots oben vom Marathonlauf und der Gymnastik zeigen. Diese durchbrechen immer wieder die bunten, dynamisch und schnell geschnittenen, „actionhaltigen“ Szenen der Wettkämpfe und sorgen für regelrecht meditative Momente.
Großaufnahmen einzelner Athleten stehen Massenszenen gegenüber, und auch Soundeffekte werden stark benutzt, besonders während der Zeitlupen. So sind etwa während eines Hürdenlaufs überhaupt keine Geräusche zu hören, außer dem Umstürzen einer Hürde, das fast wie ein verzweifelter Schrei klingt.
Kon Ichikawa, damals einer der renommiertesten Regisseure Japans, stand für die Dokumentation der Spiele ein Heer von fast 600 Mitarbeitern, darunter allein 16 Kameramänner, zur Verfügung. Mit dem Ergebnis seiner Arbeit war das Organisationskomitee der Spiele aber äußerst unzufrieden.
Donald Richie berichtet, dass Ichikawas ursprüngliche Fassung stark überarbeitet wurde, in der noch viel mehr als im endgültigen Film der einfache Mensch in den Mittelpunkt gestellt wurde. So soll Ichikawa für das Ende des Films eine Szene vorgesehen gehabt haben, in der ein Mann mit einer Leiter auf der Schulter durch das leere Stadion geht, das Lachen von spielenden Kindern im Hintergrund. Allein bei dem Gedanken bekomme ich Gänsehaut! Was ein Jammer, dass er seine Vision nicht umsetzen konnte und Kompromisse gegenüber dem Komitee eingehen musste.
Aber auch ohne dieses Ende und mit der etwas „monumentalisierteren“ Version, die letztlich veröffentlicht wurde, stellt Tokyo Olympiad einen Meilenstein des Sportdokumentationsfilms dar. Zahllose Elemente und Techniken, die Ichikawa vor 45 Jahren anwandte, gehören heute zum Standard jeder Berichterstattung von einem sportlichen Großevent. Mit einem Blick auf die letzten Olympischen Spiele wäre zu wünschen, dass nicht nur die Technik sondern auch der Geist seines Werkes, das kompromisslos den Menschen in den Mittelpunkt stellt und um verherrlichende, großkotzige Inszenierungen einen weiten Bogen macht, noch Einfluss bis in die Gegenwart hätte.
4 Nov
… da kann man langsam anfangen, den DVD-Wunschzettel zusammenzustellen. Hier also ein paar Produktinformationen (eine umfangreichere Liste gibts beim J-Film Pow-Wow):
Rechtzeitig fürs diesjährige Weihnachtsgeschäft kommt die – bereits in diversen anderen Blogs erwähnte – bombastische Kurosawa-Box von Criterion „AK100: 25 Films by Akira Kurosawa„. Zum Preis von 299 Dollar kann man sie derzeit bei Amazon.com vorbestellen. Das klingt im ersten Moment nach viel Geld, letztlich sind es aber „nur“ etwa 10 Euro pro DVD. Außerdem enthält die Box ein illustriertes Buch vom renommierten Kurosawa-Experten Stephen Prince und ist mit ihrer Leinen-Aufmachung definitiv ein Hingucker. Da kann man schon ins Grübeln kommen, auch wenn man bereits einige von Kurosawas Filmen im Regal stehen hat.
Der zweite spannende Release der nächsten Wochen ist wieder ein Box-Set, nämlich das erste Tora-San Collector’s Set von Animeigo (ein Label, von dem ich das nie erwartet hätte, die Jungs waren bisher ja eher für Anime und Action bekannt). Die Box enthält die ersten vier Filme der Endlos-Reihe um den sympathischen Loser, kommt in zwei Wochen in den Handel und ist – wie könnte es anders sein – bei Amazon für 71,99 Dollar vorbestellbar.
Und dann ist da noch The Rebirth: Ein eher unbekannter Film, der für mich völlig überraschend (weil zu unkonventionell) aber dennoch hochverdient (weil einer der besten japanischen Filme der letzten Jahre) zu einem Release durch das Label Facets kommt. Es gibt auf deren Seite nur rudimentäre Info zum Film, aber immerhin einen kleinen Trailer. Die DVD kostet 26.95 US-$ bei Amazon und ist ab 24.11. erhältlich. Das ist eine DVD, die ich mir auf jeden Fall auf die Einkaufsliste setze!
Happy Shopping! 🙂
~~~ Nachtrag ~~~
Da habe ich doch glatt eine weitere Sammler-Box vergessen! Masters of Cinema legt am 16.11. die legendäre „Lone Wolf and Cub“-Serie (zu der brauche ich ja wohl kaum große Worte verlieren) in einer 7-Disc-Edition neu auf, basierend auf einem neuen Transfer! Wir können uns also darauf freuen, die Reihe in bisher ungekannter Qualität zu genießen. Außerdem dabei sind Essays von Tom Mes, Mitherausgeber von Midnight Eye. Bei Amazon UK kann man die Box zum Preis von 35,98 Pfund (ca. 40 Euro) vorbestellen.
2 Nov
Nein, ich war nicht in Pordenone beim Stummfilmfest. Knut war dort. Und hat mir von dort die Kataloge aus den Festivaljahren 2001 und 2005 mitgebracht, als japanische Stummfilme zu den großen Themen gehörten. Ein Riesendankeschön an Knut! 🙂
2001 gehörten einige der allerersten überhaupt in Japan gedrehten Filme zum Programm: Straßenaufnahmen aus Tokyo, von Tsunekichi Shibata aus dem Jahr 1898. Auch der Shinpa-Tradition ging man nach und stellte einige der frühen, unbekannten Werke der großen Meister vor: Mori no Kajiya von Hiroshi Shimizu, Koshiben Ganbare von Mikio Naruse und eine ganze Palette aus dem Werk Mizoguchi, Ozus, Kinugasa und Ito.
2005 dann standen zwei Jubiläen im Zentrum des Festivals: Der 100. Geburtstag von Mikio Naruse und der 110. Jahrestag der Gründung von Shochiku. Natürlich war da Naruse stark vertreten, vor allem mit einigen seiner unbekannten Filme um 1930: Nasanu naka, Kimi to wakarete, Yogoto no yume und Kagirinaki hodo. Darüber hinaus hatte Shochiku einige Schätze aus dem Archiv geholt, beispielsweise Kenji Mizoguchis The Downfall of Osen, Minoru Muratas Souls on the Road (der oft als der große Meilenstein des frühen japanischen Films genannt wird) und Ozus Woman of Tokyo.
Vielen Dank nochmal, Knut! Das gibt einiges zu lesen für mich, und wenn du mal nach Hamburg kommst weiß ich einen exzellenten Japaner, denn schließlich geht auch Dankbarkeit manchmal durch den Magen 😉
16 Okt
Im Juni hatte ich nach dem J-Film Blogathon schon die imho interessantesten und lesenswertesten Diskussionen daraus genannt. Aber eines hatte ich damals vergessen, was ich jetzt nachholen möchte: Einen Blog vorstellen, der mich damals ganz besonders beeindruckt hat.
Es geht mir um Mikkokoivisto’s Weblog; der Name verrät nicht viel, außer, dass der Blog von einem Finnen geführt wird (damit hat er bei mir natürlich sofort einen Stein im Brett, schließlich habe ich ein Jahr in Finnland studiert). Mikko schreibt hautpsächlich über japanische Filme, manchmal wird auch ein bisschen zu weiteren asiatischen Filmen abgeschweift, aber der Blog ist eindeutig auf J-Film gepolt. So sehr, dass Mikko auch schon mal von Begegnungen mit Nobuhiro Yamashita träumt. In solchen Momenten äußert sich dann auch der typische, trockene finnische Humor. Die Beiträge und besonders die Filmkritiken sind objektiv und eigentlich immer lesenswert, der Blog hat nur ein großes Manko, auf das ich Mikko auch schon einmal angesprochen habe: Man findet nirgends eine Übersicht der von ihm besprochenen Filme, was inzwischen so an die 200 sein dürften (überwiegend Gegenwartskino der letzten 20-30 jahre übrigens). Aber wen das nicht stört und gerne ein bisschen stöbert, kann sich bei Mikko wirklich sattlesen!
Der zweite Blog, den ich heute am Start habe, ist noch ganz frisch – so frisch, dass er anscheinend noch nicht mal einen klar erkennbaren Namen hat 😉 Autor escapistolero, nach dem der Blog wohl benannt ist, beschäftigt sich jedenfalls ganz mit Anime und dabei vorwiegend mit Anime-Serien, von denen ich noch nie gehört habe: Canaan, Ristorante Paradiso, Umi Monogatari oder Endless Eight, um mal ein paar Beispiele zu nennen. Nun ist es wirklich keine Kunst, sich mit Anime-Serien zu befassen, die ich nicht kenne. Mein Ding sind eher Filme und die einzigen Serien, die ich bisher gesehen habe, waren NGE, Cowboy Bebop und Serial Experiments Lain (demnächst kommt noch Haibane Renmei dazu). Eine Kunst ist es aber sehr wohl, so eingänglich-begeisternd und zugleich doch kritisch über diese Serien zu schreiben wie escapistolero das macht. Und wenn daraus ein dauerhaft geführtes Blog-Projekt wird (was man nur hoffen kann) wird das problemlos der beste im Sinne von interessanteste und anspruchsvollste deutsche Anime-Blog werden. Ganbatte!
6 Okt
Original: Okuribito (2008) von Yojiro Takita
Als Departures Anfang des Jahres mit dem Oscar für den besten fremdsprachigen Film ausgezeichnet wurde, war das für die meisten (nicht nur Japaner) eine riesige Überraschung. Der Film hatte zwar schon zuvor reihenweise Auszeichnungen eingesammelt, vor allem in Japan aber auch bei einigen internationalen Festivals, aber die ganz großen Ehrungen, die ihn in eine Favoritenrolle gebracht hätten, waren nicht dabei. Auch ich war damals sehr überrascht, aber jetzt wo ich ihn gesehen habe, finde ich es gar nicht mehr so sehr verwunderlich.
Der Film beginnt mit einem Flashback: Der Cellist Daigo (Masahiro Motoki) kehrt Tokyo den Rücken nachdem sein Orchester aufgelöst wurde und bezieht zusammen mit seiner Frau Mika (Ryoko Hirosue) das alte Haus seiner Eltern in einer ländlichen Kleinstadt. Über eine Stellenausschreibung findet er Arbeit als zeremonieller Leichenpräparator. Eine Aufgabe, die früher traditionell von den Familienangehörigen übernommen wurde, die sich heute aber zu fein dafür sind und lieber andere dafür bezahlen.
Anfangs kostet Daigo die Arbeit viel Überwindung, aber der patriarchalische Firmengründer Sasaki (Tsutomu Yamazaki) fördert und unterstützt ihn und entwickelt sich zu einer regelrechten Vaterfigur für Daigo. Daigos leiblicher Vater ließ ihn und seine Mutter nämlich im Stich, als er noch ein kleiner Junge war, was er bis heute noch nicht verarbeitet hat. Ein Problem mit der Verarbeitung seines neuen Jobs hat dagegen Mika, sie ist entsetzt, ja, angeekelt von ihrem mit Leichen arbeitenden Mann und zieht aus, als der sich keine andere Arbeit suchen will. Hier endet der ca. einstündige Flashback, und der Plot beginnt, die aufgeworfenen Konflikte zu ihrem Höhepunkt zusammenzuführen. Und dabei will ich es auch belassen, schließlich möchte ich niemandem den Spaß an dem Film verderben.
Was mich an Okuribito besonders beeindruckt hat, waren die teilweise überraschenden, aber immer beeindruckend souveränen Stimmungswechsel. Einen Moment werde ich wahrscheinlich nie vergessen: Nach einer sehr emotionalen, traurigen Bestattungszeremonie, bei der eine Leiche gewaschen, angekleidet und geschminkt wurde, schneidet Regisseur Takita direkt auf die Großaufnahme einer Schüssel voll panierter Hühnchenschlegel, die von Daigo und Sasaki mit den Worten „Zum Sterben gut“ laut schmatzend verzehrt werden. Der Effekt ist völlig grotesk, aber auch urkomisch, und reisst unvermittelt aber dennoch auf eine positive – weil lustige – Art aus der traurigen Melancholie der Bestattung. Solche beeindruckenden Momente gibt es immer wieder.
Großartig auch, dass im ganzen Film wenig Worte gebraucht werden und statt dessen viel mehr mit Stimmung und Atmosphäre gearbeitet wird (kein Wunder, wenn die Musik von Joe Hisaishi stammt). Das ist natürlich zum einen logische Konsequenz der zahlreichen, intensiv porträtierten Bestattungsriten, zum anderen aber typisch für japanische Filme und auch eine der Eigenheiten, die mich an japanischen Filmen so faszinieren. In so einen Film passt Tsutomu Yamazaki natürlich perfekt, der hier wieder grandios seine Paraderolle des mürrisch-schweigsamen Einzelgängers mit dem großen Herzen spielen kann.
Warum schrieb ich anfangs, dass ich mich über den Oscar für Departures jetzt, da ich den Film gesehen habe, nicht mehr so sehr wundere? Der Film ist sehr gut, keine Frage, aber er ist kein Meisterwerk für die Ewigkeit, dazu ist er zu wenig subtil und arbeitet zu sehr mit Stereotypen. Aber er trifft genau die Mischung aus anspruchsvollem Gefühlskino und gleichzeitiger Mainstreamkompatibilität, die bei der Academy auch in der Vergangenheit schon des öfteren sehr gut funktioniert hat. Zudem greift der Film ein Thema auf, dem durchaus eine gewisse Tabuisierung eigen ist. Insofern finde ich es naheliegend, dass der Oscar an Departures ging und als treuer Freund des japanischen Films freue ich mich natürlich ganz besonders.
Der Herbst scheint es gut zu meinen mit mir und allen Freunden japanischer Filme in Hamburg! Zwar hat das Filmfest Hamburg wieder nur drei Werke aus Japan im Programm, darunter aber immerhin den oscargekrönten Okuribito. Vor allem aber darf ich mich auf eine kleine Ozu-Reihe des Metropolis Kinos freuen! Das sind zwar ebenfalls „nur“ drei Filme, aber dafür die Crème de la crème, die ganz großen Namen, die unsterblichen Klassiker, die richtig dicken Bretter: I was born, but…, Später Frühling und Tokyo Story!
Ich sehe hier zwar das Programmheft des Metropolis vor mir liegen, in dem die Termine schwarz auf weiss stehen, aber so ganz glauben kann ich es noch nicht. Kann mich mal jemand zwicken? Ist es wirklich wahr?
Diese Filme einmal auf der großen Kinoleinwand sehen zu können, gehört zu meinen großen Träumen seit ich mich mit japanischen Filmen beschäftige. Dabei habe ich nie daran gezweifelt, dass der Traum eines Tages wahr werden würde, aber ich hatte mir eher vorgestellt, dass ich dazu nach Locarno oder Rotterdam auf eine Retrospektive fahren würde. Und jetzt bekomme ich sie direkt vor der Haustür, in meinem Hamburger Lieblingskino, präsentiert. Danke, Metropolis, danke! *verstohlenträneausdemaugewisch*
Hier die Daten (auch der beiden weiteren, ebenfalls empfehlenswerten Filme auf dem Filmfest Hamburg):
The Dark Harbour: Freitag 25.09. um 21.15 Uhr im Metropolis
Where are you?: Samstag 26.09. um 21.30 Uhr im Metropolis und Sonntag 27.09 um 17.00 Uhr im 3001
Okuribito (Departures): Donnerstag 01.10. um 19.00 Uhr im Cinemaxx
Tokyo Story: Dienstag 13.10. um 17.00 Uhr im Metropolis
Später Frühling: Donnerstag 15.10. um 17.00 Uhr im Metropolis
I was born, but…: Freitag, 16.10. um 19.00 Uhr im Metropolis
Gestern Abend saßen wir mit einigen JFFH-lern zusammen, wie üblich Pläne für die Weltherrschaft schmiedend. Mit dabei Regisseur Takatsugu Naito, der am Freitag seinen Debutfilm The Dark Harbour auf dem Filmfest Hamburg vorstellen wird und der zu meiner großen Freude gutes Englisch spricht! Durchaus keine Selbstverständlichkeit, wie ich in den letzten Jahren immer mal wieder enttäuscht feststellen musste. Leckeres Szegediner Gulasch und kühles Bier trugen das ihre dazu bei, die Verständigung zu erleichtern.
Takatsugu wurde in der Kleinstadt Miyazaki (womöglich ein Omen für eine große Zukunft?) auf der Südinsel Kyushu geboren, in der ich auch mal auf einer Rundreise vorbeikam, von der mir aber nur noch die herrlichen Pazifikstrände in Erinnerung sind. Seine Heimatstadt war die wichtige Inspiration für seinen Film, in dem er das einfache Leben der Fischer darstellt, in einer Mischung aus Melancholie und Humor. Dabei ließ er sich stark von den Filmen Takeshi Kitanos beeinflussen: Die Ruhe des Fischerdorfes, die Ereignislosigkeit hat er mit einer unbeweglichen Kamera eingefangen, und gesprochen wird in dem Film auch nicht viel. Auch von Nobuhiro Yamashita, der in Linda Linda Linda mit vergleichbaren Mitteln eine ganz ähnliche Stimmung erzeugt hat, scheint er große Stücke zu halten.
Auch wenn Takatsugu für seinen Erstling bereits auf dem PIA Filmfest ausgezeichnet wurde, ist er mit dem Film aber nicht wirklich zufrieden. Auf die 19 Drehtage folgten 2 Monate im Schneideraum, die von einer großen Krise gekennzeichnet waren: Den fertig geschnittenen Film fand er so furchtbar, dass er nochmal komplett von vorn anfing und dazu das ganze Material rekonstruieren musste. Bei diesen hohen Ansprüchen bin ich schonmal gespannt, was noch so alles in ihm steckt!
Sein nächstes Projekt, von dem er bisher nur eine vage Idee im Kopf hat, klingt auf jeden Fall sehr interessant. Wieder soll ein kleines Dorf, diesmal in den Bergen, im Zentrum stehen, was ich gern gehört habe, denn das ländliche Japan übt eine ganz besondere Faszination auf mich aus. Aber auch die Idee als solche wirkt, mit selbstreferentiellen Elementen und einer sehr interessanten Konstruktion wie ein Film, den ich unbedingt sehen möchte! Vielleicht klappt es ja mal mit einer Premiere auf dem JFFH?