OK, ich bin etwas spät dran, schließlich ist das JFFH ja schon vorbei. Aber eines muss ich noch loswerden, und zwar den Geburtstagstrailer, ein zweiminütiger Zusammenschnitt aller Eröffnungsfilme, den wir nur am Eröffnungsabend gezeigt haben. Film ab!
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=J7f2t_sY0kY[/flash]
Linda Linda Linda war dabei, Dolls, Zatoichi, Maiko Haaan!!! und einige mehr, die ich zum Teil gar nicht erkannt habe… naja, ich bin ja auch noch recht frisch beim Filmfest dabei. Weil ich irgendwie noch richtig in Filmfest-Stimmung bin und es noch gar nicht wahrhaben kann will, dass jetzt wieder ein Jahr bis zum nächsten JFFH vergeht, hab ich gleich noch ein bisschen nach Trailern anderer Festivals gesucht. Vielleicht findet sich ja Anregung, wie die Zeit rumzukriegen ist?
Sehr cool: Der Trailer zum New York Film Festival von 2006. Bringt die Botschaft klar auf den Punkt, ohne Schnörkel oder Gedöns.
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=pUFCXYP3MX4[/flash]
Ein bisschen zu sehr auf der Klischee-Schiene unterwegs ist mir der Trailer vom New York Asian Film Festival 2007:
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=VqMSb5HtRqU[/flash]
Sehr schön anzusehen der Trailer vom Asia Filmfest 2008:
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=4hvSvuZnrw0[/flash]
Meine absoluten Favoriten kommen aber vom San Francisco International Film Festival 2005:
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=cNAPAifAXok[/flash]
2 Jun
Original: Genius Party Beyond (2008)
Fünf Animationsregisseure durften sich für den zweiten Teil des Genius Party Experiments – beide Filme bestehen jeweils aus mehreren eigenständigen Anime-Kurzfilmen – austoben. Dieses Mal dabei die Newcomer Masahiro Maeda (seine Episode „Gala“ macht den Auftakt), Shinya Ohara („Wanwa“) und Tatsuyuki Tanaka („Tojin Kit“). Außerdem Kazuto Nakazawa („Moondrive“), der bereits an Animatrix mitgewirkt und die Animationssequenzen für Kill Bill beigesteuert hatte sowie Koji Morimoto („Dimension Bomb“), einer der anerkanntesten Animateure weltweit und Mitgründer des Studio 4°C.
Ich werde jetzt nicht groß in die Details der einzelnen Episoden gehen, die sind alle für sich genommen faszinierend und in sich stimmig was ihre Ästhetik und Atmosphäre angeht, erzählen aber auch alle für sich genommen eine kleine Geschichte. Mal machen diese Episoden einfach nur Spaß („Moondrive“), mal regen sie zum Nachdenken an („Dimension Bomb“). Manche kommen knallbunt daher und überrollen einen mit ihrer Kreativität und Vitalität geradezu („Wanwa“), andere holen einen wieder herunter, sind stoisch und unterkühlt bis zur Schmerzhaftigkeit („Tojin Kit“). Und mit „Gala“ ist auch ein audiovisuelles Gesamtkunstwerk dabei.
Dass Genius Party Beyond trotz dieser großen Bandbreite, der Unterschiede zwischen den einzelnen Episoden funktioiniert und überzeugt, liegt daran, dass die fünf Episoden auch einiges gemeinsam haben. Vor allem gibt es keine Ausfälle, alle fünf sind absolut sehenswert und auf ihre Art mitreissend und fesselnd. Und zudem haben die Episoden ein gemeinsames Thema, das sie in eine übergeordnete Struktur einfügt und dem ganzen Film seinen Rhythmus verleiht: Der Zyklus von Leben und Tod.
In der ersten Episode steht das Wunder neuen Lebens im Zentrum, dessen Alltäglichkeit und Unscheinbarkeit in „Gala“ einmal aus einer ganz anderen Perspektive gezeigt wird. Besonders begeisternd an dieser Episode fand ich (neben der wunderbaren Idee als solcher) das fantastische Zusammenspiel von Bildern und Musik, das eine unglaubliche Energie freisetzt, die mich am Ende der Episode mit wild klopfendem Herz in den Kinosessel gedrückt hatte.
Weiter geht es dann mit der durchgeknallten Schatzsuche in „Moondrive“, die in meinen Augen die wilden Jugendjahre repräsentiert, in denen alles möglich ist und man nie zurück schaut. In „Wanwa“ stehen Kindheit und Familie im Vordergrund und werden mit einem Stil umgesetzt, der wirklich wirkt als wären Kinder mit Malstiften am Werk gewesen.
Nach diesem lebensfrohen und quietschbunten Abschnitt wird es nun sehr viel ernster: In „Tojin Kit“ sehen wir einen Hauptcharakter bar jeglicher Energie und Lebensfreude, in einer farblosen, monotonen, von leeren Gängen und Industrie geprägten Welt. Das einzige, was diese Trostlosigkeit durchbricht, wird von einer totalitären Staatsmacht gejagt und vernichtet. Willkommen in der Midlife-Crisis.
Am Ende des Films folgt dann mit Koji Morimotos „Dimension Bomb“ der absolute Höhepunkt. Die grandiose, rätselhafte Animation fegt alles beiseite, nimmt gefangen und reisst alles mit sich fort. Lichtdurchflutete Bilder von faszinierender Schönheit wie der obige Screenshot aus einem Kornfeld wechseln sich ab mit bedrückenden Bildern brennender, sich vor Verzweiflung windender Körper. Gegensätze wie heiss und kalt, Regen und Sonne, Himmel und Hölle prägen diese Episode und markieren den Übergang vom Leben zum Tod. Der Kreis schließt sich, das Leben kann neu beginnen.
Genius Party Beyond ist eine Sammlung kleiner Meisterwerke, deren Zusammenspiel exzellent funktioniert und die so in ihrer Gesamtheit noch über sich hinaus wachsen. Animation vom Allerfeinsten, kreativ und ambitioniert, Avantgarde wie man sie selten so konzentriert zu sehen bekommt. Für mich war das der letzte Film, den ich auf dem JFFH gesehen habe, und es war ein würdiger Ausklang. Jetzt heisst es nur noch, auf die DVD warten, die hoffentlich bald bei rem erscheint.
Natürlich kam es anders als geplant: Markus, der den gestrigen Eröffnungsabend des 10. Japanischen Filmfests organisierte und leitete, hatte sich alles so schön zurecht gelegt, und dann dauerte die vor unserem Eröffnungsfilm im Metropolis laufende Vorstellung über eine halbe Stunde länger als gedacht! Die angesetzte Probe mit dem Team, die Vorbereitungen, das Team-Foto, alles fiel aus. Als der Kinosaal dann endlich frei war, begann auch schon gleich der Einlass und dann ging eigentlich alles ganz schnell: Ein paar Ansprachen von Würdenträgern, das Filmfest-Team bekam seinen wohlverdienten Applaus, ein bunter Strauß an Trailern und dann der erste von 37 Filmen dieses JFFH: Cafe Isobe.
Ich wusste von dem Film auch nicht mehr als alle anderen Besucher und hatte etwas Bedenken, dass ich einschlafen könnte. Denn nach den letzten Tagen – in denen ich neben dem normalen Job noch nächtelang an einer kleinen Ausstellung zu 10 Jahren JFFH gearbeitet hatte – war ich stehend ko und wollte nur noch schlafen. Aber Cafe Isobe erwies sich als wunderbar feinsinnige und kurzweilige Familienkomödie (die ausführliche Besprechung folgt später mal), so dass ich keine größeren Probleme hatte, das Sandmännchen abzuwehren.
Nach dem Film drängelten sich alle im Foyer des Metropolis um das Sushi-Buffet und versuchten, ein Gläschen Sekt zu ergattern. Fürs Team dagegen ging die Arbeit natürlich weiter, die einen schenkten aus, die anderen kümmerten sich um unsere Gäste aus Japan oder wichtige Sponsoren und Unterstützer, oder bereiteten den weiteren Ablauf der nächsten Tage vor. Ich zum Beispiel darf mich in etwas über einer Stunde wieder auf den Weg machen, um ein Radio-Interview mit unserem Gast Sadao Nakajima zu betreuen. Und das, obwohl ich letzte Nacht wieder viel zu wenig geschlafen habe… Naja, vielleicht lasse ich die heutige Spätvorstellung von Gelatin Silver Love ausfallen. Andererseits reizt mich der Film schon sehr! Das ewige Filmfest-Dilemma: Schlaf oder Filme, beides geht nicht.
Noch kurz ein paar Worte zum Eröffnungsabend: Angesichts dessen, dass wir einen völlig unbekannten Eröffnungsfilm hatten (ja, das war eine ziemlich riskante Entscheidung!), war klar, dass wir den riesigen Saal des Metropolis mit seinen knapp 500 Plätzen nicht ausverkauft bekommen würden. Ich war mit dem Zuschauerzuspruch aber wirklich zufrieden, der Saal war fast voll, verspätete Zuschauer hatten Probleme, noch Plätze zu finden. Ich hatte auch den Eindruck, dass wirklich viele Japaner unter den Gästen waren, was mich sehr gefreut hat. Fazit: Die Stimmung war super, die Organisation klappte auch ohne die geplante Probe und natürlich waren unsere passend zum Film als Kellnerinnen (mit Häubchen!) verkleideten Platzanweiserinnen der absolute Hingucker. Da konnten meine Ausstellungstafeln zur Geschichte des JFFH nicht gegen anstinken 😉
19 Mai
Original: Perfect Blue (1998) von Satoshi Kon
Mima, Mitglied einer halbwegs erfolgreichen Teenie-Pop-Band, entscheidet sich, die Band zu verlassen und den nächsten Schritt in ihrer Karriere zu machen: Eine Nebenrolle in einer Krimi-Serie soll ihr den Einstieg ins Filmbusiness ermöglichen. Wie vielen ihrer Fans fällt auch ihr dieser Rollenwechsel nicht leicht. Doch sie ist wild entschlossen, das zuckersüße Popsternchen-Dasein hinter sich zu lassen und sich weiterzuentwickeln. So nimmt sie für größere Auftritte in der Serie sogar eine provokante Vergewaltigungsszene in Kauf und lässt Nacktfotografien für Magazine anfertigen.
Doch Mimas zunehmender Erfolg wird überschattet von merkwürdigen Vorgängen: Eine Webseite namens „Mimas Room“ gibt minutiös intime Details ihres Lebens wieder. Ein fanatischer Fan folgt ihr auf Schritt und Tritt. Drohbriefe gehen im Fernsehstudio ein. Sie beginnt, eine zweite Mima zu sehen, die behauptet, die „wahre“ Mima zu sein. Unter dem Stress verschwimmen in ihrem Bewusstsein ihre Rolle in der Krimi-Serie und ihr Leben immer mehr. Als plötzlich mehrere Mitglieder des Filmteams grausam ermordet werden, scheint Mima den Verstand zu verlieren… hat sie die Morde selbst begangen?
Abgesehen von der etwas einfach gehaltenen Animation (wohl dem Umstand geschuldet, dass für den Film kein großes Budget zur Verfügung stand) deutet nichts darauf hin, dass es sich hier um den Debutfilm von Satoshi Kon handelt. Die Story nimmt langsam Fahrt auf, reisst uns Zuschauer dann aber wie in einem Mahlstrom mit sich fort und zieht uns ganz in ihren Bann. Mimas Charakter, der zwischen wilder Entschlossenheit und wachsenden Selbstzweifeln hin- und hergerissen ist, ist sehr reif angelegt und glaubwürdig. Die verschiedenen Handlungsfäden und psychologischen Ebenen sind virtuos miteinander verwoben und gehen stellenweise so fließend ineinander über, dass man auch nach mehrfachem Sehen dem Film immer noch auf den Leim geht und sich dem Verwirrspiel nicht entziehen kann.
Dieses Verflechten verschiedener Realitäten ist inzwischen zu einem regelrechten Markenzeichen Kons geworden (siehe Paprika oder Millennium Actress), und auch wenn er dies in seinen späteren Filmen sehr viel aufwändiger in Szene setzen konnte, ist seine Handschrift hier schon unverkennbar.
Dazu gehört beispielsweise das Spiel mit Technologien, die uns alternative Realitäten vorgaukeln: Die Webseite „Mimas Room“ ebenso wie die TV-Serie. Gerade die Auseinandersetzung mit dem eigenen Medium Film (bzw. TV) ist auch in Millennium Actress und Paprika von zentraler Bedeutung. Dabei verwischt Kon die Übergänge zwischen TV-Serie und Realität mit großer Kreativität: Mal sind diese so fließend, dass erst in der nächsten Szene klar wird, auf welcher Ebene man sich bewegt, mal sind sie bewusst in Szene gesetzt, etwa indem das Geschehen durch die Kamera des Filmteams gezeigt wird.
Ein immer wieder auftauchendes Motiv sind Reflexionen und Spiegelbilder, welche die charakterlichen Brechungen der Hauptakteure – und allen voran Mimas – unterstreichen. Paradebeispiel dafür ist der Höhepunkt der Dreharbeiten an der Vergewaltigungsszene, die eine Schlüsselszene sowohl für Mima selbst (sie bricht damit endgültig mit ihrer Vergangenheit als Popsternchen) als auch für ihren Charakter in der Fernsehserie ist. Aus der Perspektive des Regisseurs sehen wir einen Wust von Monitoren, auf denen die verschiedenen Bilder der eingesetzten Kameras simultan zu sehen sind, mit immer anderen Blickwinkeln auf Mima.
Doch Perfect Blue ist nicht nur ein packender Psycho-Thriller sondern auch ein durchaus kritischer Blick auf die Mechanismen der Unterhaltungsindustrie und den harten Weg, den eine junge Frau zurücklegen muss, um sich in der Branche zu etablieren. Von der – teilweise fanatischen – Fanszene über das Klinkenputzen der Agenten bis hin zum kalkulierten Nackt-Shooting ist alles drin. Naive Fans, die ihre Stars vergöttern und darüber den Bezug zur Realität verlieren kriegen ebenso ihr Fett weg wie eiskalte Produzenten, denen es nur um die Quote geht.
So hat eben auch Mima ihre Probleme, sich in diese neue Umgebung und die veränderte Rolle, die sie darin spielt, einzufinden. Einerseits trauert sie noch der idealisierten, unschuldigen Zeit als Teenie-Star nach, andererseits will sie sich ihre Sporen in der rauhen Welt des Films erarbeiten. Und irgendwo dazwischen auch noch sie selbst sein. So ist die Charaktere Mima auch ein Symbol für das Erwachsenwerden, den schmerzhaften Abschied von der sorglosen Jugend, den Kampf mit der eigenen Identität und dem Sich-Etablieren in der Welt der Erwachsenen.
Roger Corman schrieb über Perfect Blue: „If Alfred Hitchcock partnered with Walt Disney they’d make a picture like this.“ An Hitchcock erinnert in diesem spannungsgeladenen psychologischen Verwirrspiel voller überraschender Wendungen in der Tat sehr viel, mit Disneys Werken hat es dagegen eigentlich nur gemein, dass es ebenfalls ein Zeichentrickfilm ist. Und wer immer noch behauptet, Zeichentrick wäre was für Kinder, den wird dieser Psycho-Thriller mit unerwartetem Tiefgang garantiert eines besseren belehren!
Es hat ein bisschen länger gedauert als gedacht (und gewünscht, mehr zu den Gründen erzähle ich demnächst mal hier), aber inzwischen steht das Programm des 10. Japanischen Filmfests Hamburg mit allen Terminen und Vorstellungen auf der runderneuerten Website zur Verfügung! Die ist zwar noch nicht zu 100 Prozent fertig, aber alle wichtigen Informationen zu den Filmen sind da. Im Moment fehlen hauptsächlich noch die japanischen Filmtexte.
Und obwohl ich die letzten Wochen täglich mehrere Stunden mit der Arbeit am Filmfest verbracht habe, hab ich noch kaum einen Überblick über die Filme. Also schauen wir mal rein ins Programm!
Zwei Filme kann ich wärmstens empfehlen, da ich sie bereits gesehen habe (durfte die Texte fürs Programm schreiben):
Absolutes Must:
Über die weiteren Filme weiss ich auch relativ wenig, aber aus dem Team habe ich ein paar Empfehlungen bekommen, daher hier meine Geheimtipps:
Ich werde auf jeden Fall versuchen, mir diese Filme anzusehen. Und wenn dann noch Zeit ist, zusätzlich vielleicht noch Non-ko, Empty Blue und Bluebird. Die klingen auch sehr interessant. Und dann gibts ja noch die beiden Kurzfilm-Specials. Und das Filmfrühstück. Und und und…
Das ist mal eine gute Nachricht, die ich irgendwie total verpennt hab! Asche auf mein Haupt, dank dem Hinweis von Julia kann ich diese den Sonntag verschönernde Neuigkeit jetzt aber sogleich an meine lieben Leser weiterreichen: Miyazakis neuester Streich „Gake no ue no Ponyo“ kommt offenbar am 8. Oktober 2009 unter dem Titel „Ponyo“ in die deutschen Kinos!
Wer das schon lange weiß möge mir verzeihen, ich freu mich einfach! Yiehaaa! 😀
~~~ Update ~~~
Wie in den Kommentaren nachzuverfolgen, hat sich der Oktober-Termin bald als Wunschtraum erwiesen und in Luft aufgelöst. Inzwischen neigt sich der Oktober dem Ende zu, Ponyo lief nicht im Kino und es ist auch kein Kinostart in Sicht. 🙁
24 Apr
Original: Arigatou san (1936) von Hiroshi Shimizu
Der Film, dessen Drehbuch vom späteren Nobelpreisträger Yasunari Kawabata stammt, folgt einer Busfahrt im ländlichen Japan und hat keine eigentliche Handlung aufzuweisen. Vielmehr führt er eine Gruppe von Menschen in dem Bus zusammen, dessen junger Busfahrer (Ken Uehara) alle nur „Arigatou-san“ (Mr. Thankyou) nennen, weil er sich bei jedem Überholmanöver artig bedankt.
Zu den Passagieren gehören ein junges Mädchen, das immer niedergeschlagen dreinblickend ganz hinten im Bus neben seiner Mutter sitzt und schon bald im Zentrum des Interesses steht: In einigen Andeutungen wird klar, dass es in die Prostitution verkauft wird, um seiner Familie das Überleben zu ermöglichen. Eine kokette junge Frau setzt sich direkt hinter Arigatou-san und macht ihm schöne Augen, ein eingebildeter Geschäftsmann streicht seinen falschen Bart und nervt die anderen Passagiere. So entsteht ein Geflecht an Beziehungen innerhalb des Busses, das durch zwischenzeitlich ein- und aussteigende Passagiere und Arigatou-sans Begegnungen mit Passanten, für die er Botendienste und kleine Besorgungen erledigt, aufgelockert und ergänzt wird.
Die Charaktere des Films sind sehr lebendig gezeichnet und die sich rasch herausbildenden Eigenheiten sorgen für reichlich Reibungspunkte, die voller Situationskomik stecken. So macht der Film einfach Spaß! Wie aber bereits die Geschichte des jungen Mädchens andeutet, steckt Mr. Thankyou auch voller menschlicher Schicksale: Die arbeitslosen Schausteller, die sich das Busticket nicht leisten können; junge Frauen, die in der Hoffnung auf Arbeit nach Tokyo fahren; der Arzt, der zu spät zu einer Geburt kommt; so entsteht nach und nach das Porträt einer Gesellschaft mitten in der Weltwirtschaftskrise, einer Gesellschaft im Umbruch.
Dass Shimizu dabei auch vor kontroversen Themen nicht zurückschreckt, belegt eine Episode, in der Arigatou-san sich mit einer jungen Koreanerin unterhält, die mit ihrer Familie am Bau der Straße arbeitet, auf welcher sich der Bus durch die Berge windet. Sie beklagt, dass sie immer von einer Baustelle zur nächsten weiterziehen müssen, und keine Chance auf ein richtiges Leben und ein Zuhause haben. Vor dem Hintergrund, dass Korea damals von Japan besetzt war und viele Koreaner in Japan unter unwürdigen Bedingungen niedere Arbeiten verrichten mussten, ist dies eine erstaunliche Kritik an der Politik Japans.
Aber der Film liefert nicht nur ein Porträt von Menschen und der größeren Gesellschaft, in der sie leben. Die Fahrt des Busses führt auch durch die ländlichen Gegenden der Halbinsel Izu, die einerseits vom Meer, glitzernden Sandstränden und in der Sonne schaukelnden Fischerbooten, andererseits von steilen Bergen und engen Tälern geprägt ist. Und Shimizus Kamera zeigt uns immer wieder den Blick der Passagiere aus den Fenstern des Busses auf die vorbei huschende Landschaft, die heute wahrscheinlich längst unter Autobahnen verschwunden ist. So dokumentiert Mr. Thankyou auch das ländliche Japan, wie es zum Anfang des 20. Jahrhunderts, an der Schwelle zur Moderne, aussah.
Alles in allem ein ganz wunderbarer Film voll liebenswerter Charaktere, der zum Nachdenken und zum Lachen gleichermaßen anregt und mit einem überraschenden Ende aufwartet, der erstaunliche Tiefe bietet und einen Blick auf ein Japan, das es schon lange nicht mehr gibt. Absolut zu empfehlen!
19 Apr
Statt einer Buchrezension heute mal zwei Tipps für demnächst anstehende, interessante Buchveröffentlichungen.
Hayao Miyazaki: Starting Point 1979-1996
Jawohl, richtig gelesen! Der Anime-Großmeister höchstselbst hat ein Buch über die entscheidende Phase seiner Karriere verfasst, welches seine ersten eigenen Filmprojekte beginnend mit Castle of Cagliostro beschreibt. Aber das Buch verspricht mit seinen rund 500 Seiten nicht nur einzigartige Einblicke in die Entstehung seiner Meisterwerke, sondern soll auch den Menschen Miyazaki, seine Weltanschauung und Denkweise, aber auch ganz alltägliches aus seinem Leben näherbringen. Zweifellos absolute Pflichtlektüre, die bereits bei Amazon.com vorbestellt werden kann.
Patrick Galloway: Warring Clans, Flashing Blades – A Samurai Film Companion
Beim Stichwort „Samurai Filme“ dreht sich mir regelmäßig der Magen um, und wenn ich ein Buch sehe, das diese missratene Genre-Bezeichnung auch noch im Namen führt, bin ich erstmal nicht gut auf das Werk zu sprechen. Ich kann aber verstehen, dass die Bezeichnung als Verkaufsargument besser zieht als korrektere Bezeichnungen wie „Schwertkampffilme“ oder „Chanbara“, daher drücke ich mal ein Auge zu 😉 Zumal Galloway bereits mit „Stray Dogs & Lone Wolves“ so etwas wie ein populärwissenschaftliches Standardwerk zum Thema verfasst hatte. Jetzt steigt er noch weiter in die Materie ein und stellt weitere 50 Filme des Genres vor. Angesichts des Pre-order-Preises von lächerlichen 13,57 $ bei Amazon kann man da nicht viel falsch machen.