Hula Girl

Original: Hula gâru (2006), von Sang-il Lee

1965, in einer kleinen Bergarbeiterstadt im Norden Japans: Die örtliche Kohlemine soll dicht gemacht werden, Tausende stehen vor dem Nichts. Anstelle der Mine will die Firma um die örtlichen heißen Quellen herum einen hawaiianischen Erlebnispark aufbauen. Die Tänzerinnen dafür sollen aus den Bergarbeiterfamilien kommen, doch die lehnen das scheinbar aussichtslose Projekt rigoros ab. Nur Kimiko (Yu Aoi) und Sanae (Eri Tokunaga) begreifen dies als Chance, das harte Leben hinter sich zu lassen.

Unterstützung finden sie bald bei der in Tokyo engagierten Tanzlehrerin Hirayama (Yasuko Matsuyuki), die eigentlich total abgehalftert ist und sich nun mit diesem miesen Job in der Provinz abgeben muss. Zunächst nur widerwillig nimmt sie die Mädchen unter ihre Fittiche, aber bald bemerkt sie, wie wichtig das Tanzen für diese ist und gegen welche Widerstände in ihren Familien sie sich durchsetzen müssen, so dass sie sich immer engagierter für die Mädchen und die Sache einsetzt. Dadurch gelingt es ihr schließlich, sogar Kimikos Bruder Yojiro, einen Bergarbeiter der das Hawaii-Projekt strikt ablehnt, umzustimmen.

Hula Girls Screenshot 2

Hula Girl beruht auf einer wahren Geschichte, und einer sehr interessanten noch dazu, aus der man eine ganze Reihe sehr verschiedener Filme hätte machen können: Eine Gesellschaftsstudie mit politischer Message vor dem Hintergrund des Niedergangs des Kohlebergbaus über die Auswirkungen auf die Menschen und wie diese mit den Veränderungen umgehen, welche Konflikte dabei entstehen und wie sie ausgetragen werden. Eine Liebesgeschichte zwischen der Tanzlehrerin und Yojiro. Eine Geschichte über einige Mädchen, die aus ihrem Bergarbeiterumfeld ausbrechen und etwas aus ihrem Leben machen wollen, darüber Konflikte mit ihren Familien austragen und am Ende den großen Traum Wahrheit werden lassen. Eine Charakterstudie der in Tokyo gescheiterten Tänzerin, die sich verzweifelt an den früheren Ruhm klammert, aber nun in der Provinz neu anfangen muss und dabei zu sich selbst findet. Einen klassischen Sport- und Tanzfilm mit typischen Elementen wie Teamgeist, harten Trainings, Fahrten zu Auftritten, Verarbeitung von Rückschlägen und Niederlagen und dem großen Triumph am Ende.

All das hätten vor dem spannenden historischen Hintergrund richtig gute und aussagekräftige Filme werden können. Leider konnten sich die Macher für keine der Möglichkeiten entscheiden und haben deshalb versucht, alles auf einmal in den Film hineinzustecken.

Hula Girls Screenshot 1

Dabei blieb vieles auf der Strecke: Konflikte und Charaktere werden kurz angerissen, Handlungsfäden angedeutet, aber allzu viel bleibt leider oberflächlich. Die komödiantischen Elemente wollen irgendwie nicht so recht zum ernsten Hintergrund (inklusive eines Grubenunglücks, bei dem der Vater einer der Tänzerinnen stirbt) passen. Die emotional-sentimentalen Höhepunkte zum Ende des Films sind stark übersteigert und ziehen sich scheinbar endlos dahin – die letzten 15 bis 20 Minuten des Films bestehen eigentlich nur noch aus Tränen, Tanzen und Trara.

So bleibt Hula Girl leider weit unter dem Potenzial der Ausgangsgeschichte. Herausgekommen ist ein brauchbares Stück leichter Familienunterhaltung, das einige Einblicke in das harte ländliche Leben im Japan der 1960er Jahre gibt (was schon selten genug ist), über das ich mich aber doch ziemlich geärgert habe, denn mit ein bisschen Mut zur Entscheidung und Konzentration auf das Wesentliche hätte man so viel mehr aus diesem Film machen können!

Ende der 1950er Jahre strotzte die japanische Filmindustrie geradezu vor Kraft, die Menschen drängten in die Kinos und kauften 1958 unglaubliche 1,127 Milliarden Eintrittskarten in fast 7500 Kinos. Japanische Filme hatten eine Reihe internationaler Preise gewonnen, inklusive des ersten Oscars – alles schien bestens.

Aber 1963, nur fünf Jahre später, hatte sich die Zahl der Kinogänge bereits mehr als halbiert, bis 1965 sank sie auf nur noch 373 Millionen, oder um insgesamt 75 Prozent. 1961 ging mit Shintoho das erste der sechs großen Studios in den Bankrott, 1971 folgte Daiei und Nikkatsu stellte im selben Jahr die Produktion neuer Spielfilme vorübergehend ein. Übrig blieben nur noch Toho, Shochiku und Toei.

Auslöser dieser Entwicklung war die zunehmende Verbreitung von Fernsehgeräten in den japanischen Haushalten, die besonders im Vorfeld der Olympischen Spiele von Tokyo 1964 stark voranschritt: Jeder wollte die Übertragungen der Wettkämpfe mitverfolgen. So stand Mitte der 1960er in 60 Prozent der Haushalte ein TV-Gerät, wer selbst keines hatte, guckte bei Verwandten, Freunden oder Nachbarn. 1970 gab es bereits 4 private und 2 öffentliche Fernsehsender und Japan war zum größten Produzenten von TV-Programmen weltweit aufgestiegen.

Die Filmstudios versuchten vergeblich, einen Anteil an dieser Entwicklung zu sichern: Sie versuchten, sich bei Sendern einzukaufen und bemühten sich, ihre Produktpalette umzustellen. Doch keinem gelang es, einen Fuß in den Fernsehmarkt zu bekommen. So überlebten die genannten drei großen Studios in erster Linie dank ihrer filmfernen Geschäftsfelder wie Freizeitparks, Immobilien oder Hotels.

Doch der Wandel der Studio-Landschaft machte sich natürlich auch bei den produzierten Filmen bemerkbar. In ihrer Verzweiflung suchten die Produzenten nach neuen Erfolgsformeln, neuen Genres und neuen Talenten. Mit Entsetzen musste beispielsweise Toei mitansehen, wie Jidai-geki-Serien im Fernsehen den zuvor so erfolgreichen chambara-Schwertkampffilmen des Studios Konkurrenz machten und an Popularität bald überholten. So suchte man nach einem neuen Setting für die alte Erfolgsformel und fand diese in der Unterwelt der Yakuza: Die Popularität dieser neuen Gangster-Filme machte den Jidai-geki endgültig den Garaus, rettete aber gleichzeitig das Studio vor dem Bankrott.

Shochiku wiederum überlebte die Siebziger fast ausschließlich dank des phänomenalen Erfolgs der Tora-san Reihe, die gerade ihr 40. Jubiläum feiert und mit 48 Teilen die am längsten laufende Filmserie der Welt ist. Toho dagegen setzte ganz auf in Serie produzierte Monsterfilme: Godzilla musste wieder und wieder antreten und erhielt im Lauf der Zeit illustre Verstärkung von Mothra oder Gamera. Nikkatsu nahm nach einiger Zeit die Filmproduktion zwar wieder auf, beschränkte sich dabei aber fast ausschließlich auf das selbst erfundene Genre des Roman poruno (pornographische Romanzen), ein Subgenre des Pink eiga. Diese Filme, die nur knapp über eine Stunde liefen und meist eine niedrige Qualität aufwiesen, machten in den 70ern etwa die Hälfte der gesamten japanischen Filmproduktion aus.

Von diesem Rückzug der großen Studios und dem Kollaps des dahinterstehenden Studiosystems mit rigiden Verträgen und genau durchplanten Karriereschritten für Filmschaffende profitierten andererseits aber unabhängige Filmschaffende. Diese konnten nun mit einfachen Mitteln experimentelle, kreative und sozialkritische Filme drehen und tatsächlich auch einem Publikum präsentieren. Viele davon, wie Nagisa Oshima, Koji Wakamatsu oder Shohei Imamura zählen heute zu den wichtigsten japanischen Regisseuren und trugen entscheidend zur Weiterentwicklung des japanischen Kinos bei.

Sie konnten jedoch den Bedeutungsverlust des Spielfilms nicht ausgleichen, und da den japanischen Produktionen auch der Weg auf den Weltmarkt verwehrt blieb, sah Joseph Anderson eine düstere Zukunft vorher:

At the bottom line in 1982, the Japanese film industry, in contrast to so many other Japanese manufacturers, had no significant foreign markets and the worst prospects at home. It had become Japan’s answer to Chrysler.

Offenbar hatte er nicht damit gerechnet, dass die Rettung und der Weg zu neuem Glanz ausgerechnet von einem Genre kommen könnte, das im Fernsehen zu großer Popularität gelangt war. Mehr davon demnächst.

Wer schon mal einen Film von Hayao Miyazaki gesehen hat, wird sie nie vergessen: Die mal majestätische, mal zu Tränen rührende, aber immer mitreißende Musik von Joe Hisaishi, der seit Nausicaä eng mit dem Anime-Meister zusammenarbeitet und zu allen seinen Filmen den Score komponierte.

1950 als Mamoru Fujisawa in Nagano geboren, entdeckte er bereits früh die Liebe zur Musik, ging auf die Kunitachi Musikschule in Tokyo und begann in den 1970ern erste Arbeiten als Komponist, unter anderem für einige Anime-Serien. Er war in dieser frühen Phase seiner Karriere sehr von New Age beeinflusst und orientierte sich an einer minimalistischen Philosophie, wandte sich im Lauf seiner Karriere aber immer mehr orchestraler Musik zu. Sein erstes Album erschien 1981, und ungefähr zu dieser Zeit legte er sich auch seinen Künstlernamen Hisaishi Joe zu, den er aus der japanischen Aussprache von Quincy Jones ableitete (eine alternative Lesart von „Hisaishi“ ist „Kuishi“).

Durch eine Empfehlung wurde 1983 Hayao Miyazaki auf ihn aufmerksam und war von seinen Ideen für den Film so begeistert, dass er den ursprünglichen Plan, einen bekannten Komponisten zu engagieren, aufgab und Hisaishi den Soundtrack zu Nausicaä aus dem Tal der Winde und in der Folge für alle weiteren Filme Miyazakis komponierte:

[flash]http://youtube.com/watch?v=IT6rD-4TrEY[/flash]

Prinzessin Mononoke:

[flash]http://youtube.com/watch?v=IRpFXTvMQw8[/flash]

Chihiros Reise ins Zauberland:

[flash]http://youtube.com/watch?v=d1ni1sVCgEk[/flash]

Mein Nachbar Totoro:

[flash]http://youtube.com/watch?v=z1EP9NuyHqY[/flash]

Das Schloss im Himmel:

[flash]http://youtube.com/watch?v=clJEd1VWNOQ[/flash]

Porco Rosso:

[flash]http://youtube.com/watch?v=-QAGPUDV-0c[/flash]

Das wandelnde Schloss:

[flash]http://youtube.com/watch?v=D5tTiYT1cgU[/flash]

Und natürlich steuert Hisaishi auch bei Miyazakis neuestem Werk Ponyo on a cliff by the sea, das diesen Sommer in die japanischen Kinos kommt, wieder seine fantastische Musik bei. Die gibts übrigens schon zu kaufen.

Aber Hisaishi verband nicht nur eine lange und regelmäßige Zusammenarbeit mit Miyazaki, er komponierte auch noch für einen weiteren großen japanischen Regisseur: Takeshi Kitano. Eines seiner schönsten und bezauberndsten Werke überhaupt ist zweifellos der Soundtrack für Kikujiros Sommer, für den er nach 1992, 1993, 1994 und 1999 im Jahr 2000 den Japan Academy Award zum fünften Mal erhielt:

[flash]http://youtube.com/watch?v=qEb4TG10jW8[/flash]

Kids Return:

[flash]http://youtube.com/watch?v=cqs-ZFhoQh0[/flash]

Hana Bi:

[flash]http://youtube.com/watch?v=QH02so_qlwI[/flash]

Charakteristisch für die Zusammenarbeit mit Kitano (die übrigens vor einigen Jahren endete, angeblich weil Hisaishis Gehaltsvorstellungen den Budgets der Filme nicht mehr entsprachen) ist ein absolut unverwechselbares Zusammenspiel aus Piano und Synthesizer-Musik, die in den Konzert-Mitschnitten leider nicht rüberkommt. Daher zur Veranschaulichung hier noch Original-Soundtracks, etwa von Sonatine aus dem Jahr 1993:

[flash]http://youtube.com/watch?v=iowg3O4uAGQ[/flash]

Oder Dolls:

[flash]http://youtube.com/watch?v=IFAcvyUMT8E[/flash]

Nun ist die Qualität dieser Youtube-Videos natürlich nicht so dolle. Wem gefallen hat, was er hier eben gehört hat, findet eine reichhaltige Auswahl an CDs bei Amazon, sowohl Original-Soundtracks als auch Compilations und natürlich viele der klassischen Werke, die Hisaishi über die Jahre „einfach so“ komponierte.

Hisaishi ist zweifellos einer der herausragendsten Filmkomponisten unserer Zeit, und so ganz langsam scheint sich das auch bei uns herumzusprechen, davon zeugen zum einen die vielen CDs die es bei Amazon gibt, aber auch, dass seine Titel in letzter Zeit immer wieder etwa bei Klassikradio gespielt werden. Zudem ist er inzwischen auch für ausländische Produktionen tätig gewesen, etwa für den koreanischen Streifen Welcome to Dongmakgol oder The Sun also rises aus China. Nur nach Hollywood scheint sich sein Ruf noch nicht herumgesprochen zu haben…

Die besten Shops für japanische Filme und DVDs ist eines der beliebtesten (und nützlichsten) Postings das ich bisher geschrieben habe. Und bisher hatte ich auch nie Anlass, mir über einen Beitrag zu den schlechtesten Shops Gedanken zu machen. Bis ich dann vor ein paar Monaten den englischen Shop Moviemail entdeckte und dummerweise auch DVDs bestellt habe, womit ein nichtendenwollendes Ärgernis begann.

Eine kurze Chronologie des Grauens:

18. Februar: Perfect Blue von Satoshi Kon bestellt.
6. März: Nichts passiert, ich erkundige mich, was los ist: Der Film wäre derzeit noch nicht lieferbar, ich solle mich noch etwas gedulden.
19. März: Meine Bestellung wird storniert, weil Perfect Blue nicht mehr lieferbar ist. Grmpf.
10. April: Ich bestelle Zatoichi von Takeshi Kitano sowie den Mizoguchi-Doppelpack Ugetsu Monogatari & Oyu-sama.
24. April: Nachricht erhalten, dass meine Bestellung nicht abgewickelt werden konnte, weil die von mir hinterlegten Zahlungsinformationen fehlerhaft seien… Kreditkartennummer falsch eingegeben, mein Fehler, korrigiere ich natürlich sofort.
12. Mai: Wieder passiert wochenlang nichts und erkundige mich, was los ist: Meine Bestellung wurde wegen der falschen Kreditkartennummer automatisch storniert, und das, ohne mich zu informieren! Ich kaue schon kräftig an der Tischplatte vor Ärger, gebe aber dieselbe Bestellung sofort nochmal auf, sind ja schließlich tolle Filme zum Schnäppchenpreis.
3. Juni: Die zweite Bestellung von Zatoichi wird storniert, diesmal weil die DVD nicht mehr lieferbar ist. Grummel, nerv! Ich natürlich stinksauer, schreibe an den Support und beschwere mich. Zurück kommt eine Mail mit dem Tenor „Selber schuld, wenn du DVDs bestellst, die auf der Website nicht als In Stock markiert sind“.
12. Juni: Das voraussichtliche Lieferdatum für die beiden Mizoguchis wird heute nochmal verschoben, ich habe endgültig die Schnauze voll und storniere die Bestellung.

Tja, und so hab ich in den letzten vier Monaten drei Bestellungen abgegeben, nichts geliefert bekommen und ca. ein halbes Dutzend Mails mit dem Support gewechselt. Meinen Account bei Moviemail werde ich jetzt ebenfalls löschen. Sowas ist mir echt noch nicht untergekommen, geht ja gar nicht! Und das ärgerlichste dabei ist, dass die Angebote total verlockend sind, der Laden aber anscheinend überhaupt nicht in der Lage ist, das in Aussicht gestellte dann auch zu liefern. Klassische Lockangebote ohne was dahinter also. Mein Rat: Lasst bloß die Finger von Moviemail!

Hast du auch schonmal solche Erfahrungen machen müssen? Lass es uns wissen und berichte davon in den Kommentaren!

Nachtrag: Die Lieferung des Mizoguchi-Doppelpacks hat über Amazon-UK ganze 6 Tage gedauert und das bei fast identischen Preisen. Soviel zu „nicht lieferbar“.

Lang hat es gedauert, der letzte Festivaltag liegt schon mehr als eine Woche zurück, aber jetzt ist Zeit für ein Fazit, denn Griechenland gegen Schweden ist einfach unerträglich langweilig! Gleich vorneweg der Hinweis dass ich zuallererst aus der Sicht des Filmfans Bilanz ziehen werde, weniger als Mitwirkender im Team.

Wie schon im letzten Jahr bot das Japanische Filmfest wieder eine bunte Mischung aus allerlei Genres, Klassikern, Bekanntem und Unbekanntem. Miike war wieder mit an Bord und noch eine Reihe weiterer großer Namen wie Mamoru Oshii oder Kaori Momoi, dazu viele talentierte Nachwuchskünstler, denen wir für ihre zukünftige Karriere das allerbeste wünschen. Allerdings war die Auswahl dann doch etwas eingeschränkter, einfach weil statt 40 auch „nur“ 31 Filme liefen. Das merkte ich zum Beispiel, als ich Freunden, die nicht gerade auf Gewalt, Horror oder Experimentelles stehen, Filme empfehlen wollte. Außer Bride of Noto oder Fuckin Runaway fiel mir da kaum was ein, das war letztes Jahr noch ganz anders! Selbes gilt besonders für die Anime, die 2007 mit Paprika und Tekkonkinkreet so ziemlich das Allerbeste zu bieten hatten, was die Animestudios hergaben. Dennoch hab ich alles in allem wieder nur gute bis sehr gute Filme gesehen, mit Sukiyaki Western Django als Ausreißer nach unten.

Damit komme ich dann auch zu meinen drei Top-Hits des JFFH2008, die mir wieder nicht gerade leicht gefallen sind (mit Rankings tue ich mir ja immer schwer…)

  1. Faces of a fig tree
  2. Noisy Requiem
  3. Fuckin Runaway

Auf Platz eins kommt bei mir Faces of a fig tree, weil mich das unkonventionelle, bitter-süße Hinterfragen von Familienleben und ganz Alltäglichem sehr beeindruckt hat, die Charaktere so schön schräg sind und der ganze Film so herrlich bunt ist. Schwere Themen werden hier auf sehr lockere Art angegangen, womit sich der Film wohltuend von den vielen anderen, eher schwer verdaulichen Werken abhebt. Auf Platz zwei dann der mit Abstand am schwersten zu verdauende von allen, Noisy Requiem, ein Film von solcher Radikalität und Konsequenz, dass es schon fast weh tut; den jeder der ihn einmal gesehen hat nie vergessen wird. Und auf Platz drei dann Fuckin Runaway, ganz knapp vor Chain, bei dem ich wirklich ganz lange geschwankt habe. Aber Fuckin Runaway ist dann doch etwas ausgereifter und runder und kann zudem mit wunderbar gezeichneten, problembeladenen Charakteren überzeugen.

Leider fehlten Festival-Highlights wie die Party oder das sonntägliche Filmfrühstück, für das mit Bride of Noto ein perfekter Film im Programm gewesen wäre. Aber aus organisatorischen Gründen war das dieses Jahr nicht drin, es war eben ein Jahr des Umbruchs und der Veränderungen im Team und das hat man gemerkt. Mehr dazu bei Gelegenheit. Dafür gab es den Bondage-Themenabend, der wohl ein Riesenerfolg war und der hoffentlich eine Fortsetzung finden wird. Dennoch bleibt einer meiner beiden Hauptkritikpunkte aus dem letzten Jahr bestehen: Es muss viel mehr um die Filme herum geboten werden, ein richtiges Rahmenprogramm gehört heutzutage zu einem guten Festival dazu. Hier gibts also noch Luft nach oben und ich bin sicher, dass sich nicht nur in diesem Bereich einiges tun wird in Zukunft.

Denn während das Festival-Team im Umbruch ist, steht das Metropolis-Kino kurz vor dem Abbruch, es müssen also auch neue Spielstätten her. Und weil 2009 das 10. Jubiläum ansteht, werden wir uns alle sehr ins Zeug legen, damit nächstes Jahr das beste Japanische Filmfest ever wird! Ich freu mich jetzt schon und würde am liebsten sofort mit der Vorbereitung anfangen, denn nach dem Festival ist vor dem Festival!

Chain

Original: Chain (2007) von Akihito Kajiya

Ein Amokläufer erstach heute 7 Menschen, weitere 10 wurden zum Teil schwer verletzt. Die Tat ereignete sich im Tokyoter Stadtteil Akihabara während eines autofreien Sonntags, der noch mehr Besucher als gewöhnlich in das Einkaufsviertel lockte. Der Täter war zunächst mit einem Lieferwagen in die Menge gefahren und hatte dann wahllos um sich gestochen. Nach seiner Festnahme sagte er, er sei der Welt müde und hätte einfach nur irgendwen töten wollen.

Auf den Tag genau vor 7 Jahren erstach ein Amokläufer an einer Grundschule in Osaka 8 Schülerinnen und Schüler und verwundete 15 weitere. Nach seiner Festnahme gab er zu Protokoll, dass er vom Leben die Schnauze voll habe und die Todesstrafe wolle, zu der er später auch verurteilt wurde.

Was haben diese furchtbaren Ereignisse nun mit dem Film Chain zu tun? Der Abschlussarbeit eines Studenten der Osaka University of Arts, die ich in Anwesenheit des Regisseurs vor einer guten Woche beim JFFH sehen konnte? Regisseur Kajiya griff die Ereignisse in seiner Heimatstadt Osaka von 2001 sowie ein persönliches Erlebnis, als in seiner Nachbarschaft ein Mann drohte, in einem Kindergarten Amok zu laufen, auf und fragte sich, was einen Menschen dazu bringen mag, wahllos andere zu töten. Dazu benutzt er vier Handlungsstränge um vier Hauptpersonen – zwei Schülerinnen, deren Lehrerin sowie den Kollegen des Ehemanns der Lehrerin – deren Wege sich immer wieder kreuzen, sich immer weiter verweben, eine Reaktionskette auslösen und schließlich in einem Blutbad an der Schule enden.

Alle vier haben schwer an ihren Problemen zu tragen: Die Schülerin Rie leidet unter der bevorstehenden Scheidung ihrer Eltern und wird in der Schule gehänselt, unter anderem von Rena, die dadurch ihre eigenen Minderwertigkeits- und Schuldgefühle übertünchen will. Die Lehrerin wiederum leidet mit ihren Schülerinnen und nimmt deren Probleme gewissermaßen mit nach Hause, während der Kollege ihres Mannes gerade eine Scheidung hinter sich hat und zu allem Überfluss auch noch gefeuert wird.

Letztlich sind es jedoch nicht diese faktisch-eindeutigen Gründe die zum Wahnsinn des Amoks führen, denn diese würden eine solche Tat gewissermaßen nachvollziehbar und verständlich machen. Vielmehr sind es kleine, schwer interpretierbare Details und Ereignisse des Alltags, wie lärmende Mädchen auf dem Schulweg oder ein unachtsamer Rempler auf der Straße, die eine unkontrollierbare Kettenreaktion auslösen und irgendwann einen emotionalen Kurzschluss verursachen, der in der Gewalt mündet.

Screenshot Chain

Chain hat nur eine Spielzeit von etwa 60 Minuten und bewegt sich somit – nicht zuletzt auf Grund seiner episodenhaften Erzählweise – gefühlsmäßig irgendwo zwischen Kurzfilm und Spielfilm. Die Art und Weise, wie diese Episoden miteinander verwoben sind, und wie das blutige Finale in Szene gesetzt ist, ist phänomenal und weist eine filmische Reife auf, die weit über dem liegt, was ich bisher von Studentenfilmen gesehen habe. Chain packt einen von der ersten Minute und lässt einen nicht wieder los; für mich einer der besten Filme die dieses Jahr auf dem Japanischen Filmfest liefen!

Nicht nur die Geschichte und ihre dramaturgische Umsetzung sind erstklassig, auch Inszenierung und Ästhetik sind mit ihrem halbdokumentarischen Charakter absolut stimmig. Einzige Schwäche ist die etwas zu kurz gekommene Verbindung zwischen dem Amokläufer und den Schülerinnen. Würde hier noch etwas nachgearbeitet, hätte der Film mit einer Laufzeit von vielleicht 70, 75 Minuten einen Release absolut verdient! Wie in Falling Down werden auch in Chain gesellschaftliche und familiäre Probleme und Fehlentwicklungen thematisiert, die aber sehr viel realer, greifbarer und alltäglicher sind. Anders als der Schumacher-Film wird die Entstehungsgeschichte des Amoklaufs dezidiert aus der Perspektive mehrerer Betroffener unter die Lupe genommen. Überhaupt hat der Film keine politische Attitüde, bleibt viel mehr auf der menschlich-persönlichen Ebene und wirkt sehr authentisch und realistisch.

Im Gegensatz zu Falling Down und anderen westlichen Filmen zum Thema ist hier – wie auch bei den geschilderten realen Amokläufen – ein Messer die Tatwaffe, und Kajiya setzt diesen Umstand exzellent ein, um dem Wahnsinn der Tat auf schauerliche Weise Nachdruck zu verleihen. Zudem berichtete er nach dem Film, dass Amokläufe in Japan fast nie mit Schusswaffen durchgeführt werden und die Täter daher eigentlich immer festgenommen werden können.

Damit sind diese Wahnsinnstaten auch Ausdruck der unterschiedlichen Gewaltkultur in Japan und dem Westen. Während durch die Dominanz von Schusswaffen im Westen Gewalt stärker technisiert, unmittelbarer und damit „leichter ertragbar“ wird, sind Stechwaffen nach wie vor sehr archaisch, verursachen große körperliche Anstrengung und durch ihre allgemeine Verfügbarkeit (ein großes Brot- oder Fleischermesser gibt es in praktisch jedem Haushalt) auch eine ganz andere, direktere und damit viel schockierendere Form von Bedrohung, die auf leisen Sohlen daherkommt und dann wie aus dem Nichts über die Menschen hereinbricht.

Wie in Akihabara heute.

Original: Maiko haaaan!!! (2007) von Nobuo Mizuta

Bei einem Schulausflug nach Kyoto verläuft sich der junge Kimihiko (Sadao Abe) in das Geisha-Viertel Gion und verfällt Hals über Kopf dem rätselhaften Charme der jungen Maikos. Zehn Jahre hat sich daraus eine völlige Besessenheit entwickelt. Als er nach Kyoto versetzt werden soll, lässt er seine Freundin Fujiko (Kou Shibasaki) sitzen und nimmt die Gelegenheit gerne wahr, doch er muss zuerst noch seinen Chef überzeugen, von diesem in ein Geisha-Haus mitgenommen zu werden. Als er seinem Ziel dann ganz nah ist, kommt ihm der Baseballspieler Kiichiro (Shinichi Tsutsumi) in die Quere.

Zwischen den beiden entwickelt sich eine völlig überdrehte Rivalität: Kimihiko geht selbst in den Profi-Baseball, worauf Kiichiro eine Restaurantkette eröffnet und als Bürgermeister kandidiert, was ihm Kimihiko natürlich prompt nachmacht (und wozu er jedesmal seinen Chef mit aberwitzigen Plänen überredet). In der Zwischenzeit ist Fujiko auch nach Kyoto gekommen um eine Ausbildung als Maiko zu machen, und gerät natürlich prompt zwischen die Streithähne, allerdings ohne dass Kimihiko sie wiedererkennen würde…

[flash]http://www.youtube.com/watch?v=9YhhuIRe8Xs[/flash]

Maiko haaaan!!! war einer der großen Überraschungserfolge 2007 in Japan, und das ist im Grunde gar nicht überraschend. Der Film führt nämlich eine ganze Reihe von Erfolgselementen sehr gut zusammen: Eine Liebesgeschichte, ein Familiendrama, den Aufstieg eines Helden, skurrilen Slapstick und jede Menge japanischer Nationalsymbole von der Maiko über Baseball bis zu den Ramen-Nudeln.

Erfreulicherweise bleibt der Film auch keineswegs auf dem Niveau der wohlbekannten Blödel-Filme sondern entwickelt gleich auf zwei Ebenen Tiefgang: Zum einen bezüglich Kimihiko, dem zum Ende klar wird, dass seine Besessenheit von Maikos dem echten Glück im Wege steht und zum andern in der Figur des Kiichiro, der ein Geheimnis bewahrt, das seine Familie vor eine harte Zerreissprobe stellt. Und ganz nebenbei vermittelt der Film auch noch einige Einblicke in die stark reglementierte Welt der Geishas und räumt so mit dem einen oder anderen Klischee und Vorurteil auf.

Großartige Unterhaltung made in Japan!

Ein absolut würdiger Abschluss des Festivals war der Sonntag, an dem ich zuerst in A Bride of Noto war, um mir anschließend Bloody Snake under the sun anzusehen, der in den nächsten Wochen in die japanischen Kinos kommt und dessen Produzent Yamashita und Hauptdarsteller Shōgen zu Gast waren. Die ausführliche Kritik kommt demnächst, was mich aber sehr begeistert hat waren unsere beiden Gäste, die nach der Vorstellung ausführlich auf Fragen des Publikums eingingen (so ausführlich, dass der nachfolgende Film um 20 Minuten verschoben werden musste).

Produzent Yamashita berichtete lang und breit (der Kollege scheint recht gesprächig zu sein) von den Widrigkeiten, die das Projekt auf Schritt und Tritt verfolgten: Ein wichtiger Sponsor sprang ab, bei einem anderen wurden für das Projekt gedachte Gelder veruntreut, so dass die Postproduktion sich fast zwei Jahre hinzog! Die Dreharbeiten selbst fanden bereits 2006 statt, zum großen Teil in Thailand (der Film spielt in den 1960er Jahren auf Okinawa) und müssen eine ziemlich extreme Erfahrung gewesen sein.

Shōgen stammt zwar selbst von Okinawa, musste sich aber für seine Rolle erst das Spielen eines lokalen Instruments (so eine Art kleine Gitarre, den genauen Namen hab ich vergessen, es ist aber nicht die Shamisen) beibringen. Und er musste im Film, in dem er einen sehr extrovertierten, kumpelhaften Typen spielt, der ständig Witze reisst und seinen Freunden Streiche spielt, wohl auch ziemlich aus sich herausgehen, denn im realen Leben wirkt er eher ruhig und zurückhaltend. Definitiv ein sehr sympathischer Kerl! Ich wünschte, ich hätte früher gemerkt, dass er richtig gutes Englisch spricht, das wäre die Gelegenheit gewesen, um Kontakte zu knüpfen.

Shogen und Sandra beim Fotoshooting

Auf dem Foto ist er übrigens mit einem signierten Poster seines Films und mit Sandra aus dem Festival-Team zu sehen.

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Wir haben auf an manchen Abenden ja auch für ein befreundetes Hamburger Label eine wilde Mischung DVDs verkauft, von Pink und Sexploitation über Yakuza-Trash bis hin zu Horror und Splatter. Naja, verkauft ist wohl das falsche Wort, „angeboten“ würde es eher treffen, denn die paar Scheiben die über den Tisch gingen waren eigentlich zu vernachlässigen 😉

Nur an einem Abend nicht: Als The Machine Girl lief waren die Gäste vor dem Film noch zurückhaltend, aber nach dem Film wurde uns die gerade erschienene US-DVD förmlich aus den Händen gerissen! Und das zu 25 Euro pro Stück, obwohl es die bei Amazon.com für schlappe 13 US-$ (knapp 9 Euro) gibt!

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Kurzbericht zu Noisy Requiem:

Der über fünf Jahre gedrehte Film mit zweieinhalb Stunden Laufzeit, der auf dem Weg zu einem Festival schon mal vom italienischen Zoll konfisziert wurde weil er als Gefahr für die Moral eingeschätzt wurde, verdient eigentlich eine ausführliche Auseinandersetzung. Dazu müsste ich ihn allerdings mindestens noch ein weiteres Mal sehen, daher jetzt die Kurzfassung.

Yoshihiko Matsui verwebt in diesem Epos die Geschichten mehrerer Außenseiter während der Hochphase des japanischen Wirtschaftsbooms in den 1980ern. Ein Frauenmörder, der eine intime Beziehung zu einer Schaufensterpuppe pflegt, verkrüppelte Kriegsveteranen, eine durch einen Unfall entstellte Zwergin und die inzestuöse Liebesgeschichte eines jungen Geschwisterpaars fließen ineinander und lassen kein Tabu unberührt. Auch wenn manche der meist grandios fotografierten Schwarz-weiss-Bilder sehr drastisch sind, was den Film wirklich aufwühlend und schockierend macht, ist vielmehr, dass sich so viel in der Fantasie des Zuschauers abspielt.

Noisy Requiem ist eine schier unendliche Aneinanderreihung von Industriebrachen, Abfallhalden, Abwasserkanälen, Hinterhöfen und ausgestorbenen Lagerhallen. Schmutz und Dreck wollen gar kein Ende nehmen und die Akteure, die anfangs noch relativ „normal“ erscheinen, versinken irgendwann völlig darin.

Für mich überraschend: Es gibt kaum Szenen, in denen ein direkter Kontrast mit dem Bild des sauberen, reichen Japans aufgebaut wird. Durch dieses fast völlige Fehlen scheint es, als würde der Film die Existenz dieser „guten“ Welt regelrecht negieren. In dieser Hinsicht ging Matsui viel weiter als etwa Shohei Imamura, der sich ja auch immer für Außenseiter und die Schattenseiten der Gesellschaft interessierte, diese dabei aber in die Gesellschaft einbettete.