3 Jun
Original: Noto no hanayome (2008), von Mitts Shirahara
Und wieder mal hab ich die Ehre, hier einen Film vorstellen zu können, von dem es noch nicht mal einen IMDb-Eintrag gibt! A Bride of Noto lief erst wenige Wochen vor dem Japanischen Filmfest in Japan an und wurde meines Wissens bisher auch nur in der Region Noto gezeigt. Denn die Story des Films hat einen wahren Hintergrund: Ein Erdbeben zerstörte dort viele Häuser, viele Menschen mussten lange Zeit in Notunterkünften unterkommen.
In dieser Zeit reist die junge Miyuki aus Tokyo ins ländliche Noto, um sich um die Mutter ihres Verlobten zu kümmern, die sich bei einem Unfall ein Bein brach. Mit dem ungewohnten Landleben konfrontiert, stellt Miyuki sich zunächst sehr ungeschickt an, besonders in häuslichen Dingen. Zudem behandeln die Schwiegermutter in spe und andere Dorfbewohnerinnen sie sehr von oben herab. Nur zur steinalten, tauben Nachbarin entwickelt sie ein freundschaftliches Verhältnis.
Als die Situation für sie immer unerträglicher wird, entschließt sie sich zur Rückkehr nach Tokyo, doch auf dem Weg erfährt sie, dass die Mutter eventuell ins Altenheim eingewiesen werden soll. Nun fasst sie sich ein Herz, nimmt die Herausforderung an und die beiden Frauen beginnen, sich zu respektieren. Als Miyuki mit viel Einsatz auch noch ein lokales Festival reanimiert, gewinnt sie auch die restlichen Dörfler für sich.
Die Geschichte ist ziemlich vorhersehbar, aber die Story bietet natürlich nur den Rahmen für die Entwicklung von Miyuki und ihrem Verhältnis zur Schwiegermutter und dem traditionellen Landleben, das diese repräsentiert. Und diese ist mit einigen sehr emotionalen Momenten gut in Szene gesetzt. Zudem lockern komische (manchmal etwas klischeehafte) Situationen, etwa rund um Miyukis unterentwickelte Kochkünste oder zum Umgang mit lebenden Fischen oder Ziegen den Film gut auf. Und natürlich ist er an manchen Stellen etwas sehr sentimental.
Sehr gut gefallen hat mir besonders der Umgang mit dem Land-Stadt-Gegensatz, der nicht nur auf platte Klischees reduziert wird. Vor dem Hintergrund der Zerstörungen durch das Erdbeben werden auch Probleme wie Abwanderung der jungen Generation, Einsamkeit und Verbitterung der zurückgebliebenen Alten oder Jobmangel thematisiert. Dass Miyuki am Ende ganz traditionell in Noto heiratet, deutet die Sympathien des Films an, der natürlich auch einige schöne Landschaftsbilder bietet (wer sich einen Eindruck verschaffen will, auf der offiziellen Website gibt’s einen Trailer).
Inzwischen sind wir schon am letzten Tag des Festivals angekommen – Wahnsinn, wie schnell das ging! Da ich dieses Jahr keinen Urlaub für das Festival genommen habe und auch hinter den Kulissen aktiv bin, blieb bisher kaum Zeit, hier im Blog zu berichten. Die umfangreicheren Filmbesprechungen (etwa von Maiko Haaaan!!!, Faces of a fig tree oder Fuckin Runaway werde ich in den nächsten Tagen und Wochen nachholen und natürlich werde ich auch wieder ein Fazit ziehen. Jetzt in aller Kürze meine Festivalbits der letzten Tage.
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Nachdem am Eröffnungsabend eigentlich alles wie geschmiert lief, standen die letzten drei Festival-Tage für mich eher im Zeichen von Pleiten, Pech und Pannen: Kolossale Verwirrung über das Ende von Rainmaker, eines sehr experimentellen Studentenfilms aus Osaka, der völlig abrupt und ohne Abspann oder dergleichen einfach vorbei war… das ganze Publikum (inklusive mir selbst) ging davon aus, dass es sich um eine technische Panne handelte, die Verwirrung war groß bis dann nach ein, zwei Minuten der Vorführer das Rätsel löste und bekannt gab, dass das wirklich das Ende des Films gewesen sei.
Am Freitag lief Sukiyaki Western Django mit der falschen Tonspur an und gestern hab ich mir dann auch noch den Magen verdorben – ist halt nicht so günstig, wenn man sich den ganzen Tag lang nur von einer Dose gesalzener Erdnüsse ernährt!
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Kurzbericht zu Sisterhood:
Als der Vater von Ai und die Mutter von Yui heiraten, werden die beiden kleinen Mädchen zu unzertrennlichen Freundinnen – echten Schwestern eben. Jahre später lassen sich die Eltern scheiden, und die beiden sehen nur einen Ausweg, um weiter zusammen bleiben zu können: Sie reißen nach Tokyo aus. Durch eine zufällige Begegnung bekommen sie dort Ärger mit einer Yakuza-Familie, doch sie haben einen Beschützer, den alten, mürrischen Tanida – selbst ein Yakuza – der für sie zu einem Ersatz-Vater wird. Doch die Gangster bleiben ihnen auf den Versen und die Schwestern werden auf die Probe gestellt.
Der Film hat mir wirklich gut gefallen, vor allem, weil er sich sehr auf die beiden Mädchen und ihren unbedingten Willen konzentriert, alle Widrigkeiten (seien es Rabeneltern, Geldnot oder Gewalt) zu überwinden, um weiter zusammen zu bleiben. Es gibt keine große Effekthascherei, der Film ist sehr ehrlich und gleitet nur am Ende ein bisschen in Sentimentalität ab. In der Betonung der Zweisamkeit und des Zusammengehörigkeitsgefühls der beiden Mädchen liegt aber auch eine sehr pessimistische Aussage zu Familie und Gesellschaft in unserer modernen Gesellschaft.
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Gestern hatte ich nach drei Tagen tatsächlich das erste richtige Gespräch mit meinem Gast aus Tokyo, dem Toningenieur Koji Toyoda (ok, Toningenieur klingt vielleicht ein bisschen hochtrabend für einen Studentenfilm wie Depend on the deserted house, aber der Film ist wirklich sehr professionell gemacht). Nachdem er um halb neun morgens (!) nach Hause gekommen war, haben wir zusammen gefrühstückt und er hat dabei zum ersten Mal in seinem Leben Müsli gegessen – sicherlich ein Highlight seines Besuchs hier in Hamburg 😉
[Edit: Überschrift vergessen! 4 Stunden Schlaf sind halt auf Dauer einfach nicht genug…]
31 Mai
Original: Sukiyaki Western Django (2007), von Takashi Miike
Miike darf derzeit ja auf keinem japanischen Filmfest fehlen, letztes Jahr lief Big Bang Love auf dem Japanischen Filmfest, jetzt Sukiyaki Western Django, der reichlich Aufmerksamkeit erhielt, auch in den großen Medien. Was nicht weiter verwunderlich ist, schließlich spielt Quentin Tarantino eine kleine Rolle und alle japanischen Schauspieler sprechen englisch – so gut oder schlecht es eben geht.
Die Story ist altbekannt und folgt den Genre-Konventionen: Zwei Banden bekriegen sich in einer kleinen Stadt über einen vermuteten Goldschatz, eine Familie gerät zwischen die Fronten, der Vater wird getötet, die Mutter schließt sich gezwungenermaßen einer der Banden an, der Sohn ist traumatisiert. Da verschlägt es einen mysteriösen, unbekannten Revolverhelden in die Stadt, die Dinge kommen in Bewegung und das Blut beginnt zu fließen.
Leider gab es bei der Vorführung eine kleine Panne, der Film lief mit der falschen Tonspur an (nämlich der japanischen Synchronfassung), so dass wirklich nichts zu verstehen war, denn Untertitel gibts nicht. Nach einer halben Stunde wurde der Fehler korrigiert und wir Zuschauer kamen endlich in den Genuss, Kaori Momoi, Masanobu Ando und all die anderen japanischen Stars, die Miike um sich geschart hatte, auf Englisch radebrechen zu hören. Das und der eine oder andere Gag führten durchaus zu einigen Lachern, alles in allem ist der Film von einer echten Komödie aber weit entfernt, vielmehr ist Sukiyaki Western Django eine einzige Skurrilität.
[flash]http://www.youtube.com/v/AYUecko6Vd0&hl=en&rel=0[/flash]
Das beginnt schon beim Rückgriff auf den historischen Hintergrund, der aus den Heike Monogatari stammt, in denen der Kampf der Samurai-Clans Taira und Minamoto geschildert wird. Miike bedient sich bis zu den Namen der Hauptkontrahenten der historischen Tatsachen, nur dass Kyomori dann plötzlich zum Showdown mit einer Gatling antritt und Shakespare bewundert. Ein schizophrener Sheriff und ein durch den Verlust seiner Hoden dem Wahnsinn verfallener Samurai mit Irokesen-Schnitt sind weitere Paradebeispiele in Miikes Kuriositäten-Kabinett.
Highlight des Films ist für mich ganz klar Kaori Momoi – die ich bisher nur aus Arthaus-Filmen in anspruchsvollen Rollen kannte – die sich hier als Revolverheldin mal so richtig austoben kann und daran sichtlich Spaß hat. Ansonsten fällt mir nicht viel gutes ein, außer dass der Film handwerklich natürlich sehr gut gemacht ist und nett anzusehen ist, besonders das Finale im Schnee. Aber viele Handlungsstränge und Motive bleiben unklar, der Charakter des Films ist schwer zu bestimmen und wäre wohl am ehesten als groteske Verarsche sowohl des Westerns als auch des Samurai-Genres aufzufassen. Einen tieferen Sinn kann ich nicht erkennen: aufwändige Verpackung, nichts dahinter.
Gestern Abend war Premiere, das Japanische Filmfest Hamburg ist unterwegs! Alles lief erfreulich glatt und unaufgeregt, ich hab gerade mal die ersten Minuten des Films verpasst, weil noch Eis zu besorgen war. Das Gefühl, nach der ganzen Arbeit, den Vorbereitungen und Meetings der letzten Wochen dann endlich mit nem kühlen Bier in der zweiten Reihe zu sitzen war schon genial! Eine Mischung aus Freude und Erleichterung mit einem Spritzer Stolz kam noch zu der üblichen Festivalbegeisterung und der Vorfreude und Neugier auf den Film hinzu. Ein unbezahlbarer Moment!
Dabei war ich kurz zuvor noch etwas enttäuscht gewesen, weil das Erlebnis des Festivals aus der Perspektive des Mitwirkenden eben ganz anders ist. Der Blick hinter die Kulissen und hinein in das Chaos der Organisation raubt viel von der Faszination und dem Besonderen. Und man hat auch einfach immer den Kopf voll und macht sich Gedanken, ob dies oder das auch so klappt wie geplant. Beispielsweise war gestern Abend noch unklar, ob Tokyo Gore Police rechtzeitig geliefert werden würde – inzwischen ist der Film angekommen, yeah! Aber mit solchen Gedanken im Hinterkopf fällt es dann eben schwer, sich vorbehaltlos zu freuen und einfach nur zu genießen (jedenfalls geht das mir so).
Drunter und drüber ging es dann auch nach dem Film – zuerst wollten natürlich Berge von Sushi vernichtet werden, die dem gesammelten Appetit unserer Premierenbesucher nicht lange Stand hielten – als es um die Unterbringung der Gäste aus Japan ging. So habe ich nun nicht wie ursprünglich gedacht Hidehito Kato zu Besuch sondern Koji Toyoda, Kato wohnt jetzt zwei Straßen weiter. Zu viert mussten wir uns mit zwei Reisekoffern in einen Ford Ka zwängen, nachdem wir zuerst noch einen darin gelagerten Ersatzreifen entsorgen mussten… war ne lustige Fahrt quer durch Hamburg nachts um halb zwei 🙂
Eine ausführlichere Besprechung von Maiko Haaaan!!! werde ich übrigens demnächst nachlegen, wenn der Festival-Stress erstmal vorbei ist, jetzt gehts erstmal zu Rainmaker, wo ich meine erste Filmansage machen muss darf.
Das Sortiment von Rapid Eye Movies wird demnächst um einige japanische Perlen erweitert! Bereits diese Woche kommen Tokyo X Erotica und der vielfach ausgezeichnete Go von Isao Yukisada in den Handel. Dummerweise kann ich nicht direkt zu den Angeboten verlinken, weil der REM-Shop unfassbar schlecht gemacht ist (von einem Shop zu sprechen ist eigentlich total daneben, im Grunde ist das nur ein Kontaktformular).
Leider – aus meiner sehr subjektiven Sicht – erhält der Pink-Eiga Tokyo X Erotica scheinbar eine deutlich aufwändigere Bearbeitung inklusive deutscher Synchronfassung und DVD-Schuber (für 19,90 Euro). Da sieht man wieder, was sich hierzulande gut mit dem Japan-Etikett verkaufen lässt…
Für den Rest des Jahres sind aber schon weitere Filme aus Japan angekündigt, als da wären:
Und rechtzeitig zu Weihnachten eine Takeshi Kitano-Box mit drei bisher nicht näher genannten Filmen aus den Jahren 1989-1993, was dann aber wohl auf Violent Cop, Boiling Point und Sonatine hinauslaufen dürfte.
Dass sich japanische DVDs ganz gut verkaufen, belegen also nicht nur die in der letzten Zeit zunehmend von Criterion oder Eureka aufgelegten Klassiker von Mizoguchi, Naruse oder Kurosawa sondern auch Neuerscheinungen von weniger bekannten Filmen. Dazu passt auch eine Meldung von twitch, dass das Label Cinema Epoch auf dem Marché in Cannes die Rechte an einer Reihe Nikkatsu-Klassiker erworben hat, die demnächst den Weg in die Regale finden sollen:
Over the past year or so Cinema Epoch have quietly built themselves into one tasty little boutique label for fans of unusual film, particularly of the Asian variety, and the menu just expanded considerably. The company picked up a fistful of classic titles at the recent Cannes Marche Du Film and will be bringing all of them to DVD in 2009 with brand new anamorphic transfers taken from new prints of the films.
Konkret handelt es sich um Bad Girl Mako, Yellow Fangs, Seijun Suzukis Hishu Monogatari sowie The Heartbreak Yakuza von Masato Harada, dessen neuestes Werk The Shadow Spirit in den nächsten Tagen auf dem Japanischen Filmfest Hamburg läuft!
Der neue Film von Kiyoshi Kurosawa, Tokyo Sonata, wurde beim Festival in Cannes mit dem Preis der Jury für die Sektion „Un certain regard“ (was immer das auch bedeuten soll, vermutlich sind damit unbekanntere Filme, die einen Blick wert sind gemeint) ausgezeichnet. Schöne Sache, der nicht mehr ganz junge Kurosawa gilt ja schon seit längerem als einer der japanischen Vorzeigeregisseure und hatte diesen Preis bereits 2001 einmal eingesackt, damals für Kōrei.
Dieser Film und die Auszeichnung hat mir schön vor Augen geführt, welche Verbindungen sich zwischen Blogs und den Bloggern entwickeln können. Jason Gray, Japan-Korrespondent für Screen International war offenbar an der Produktion von Tokyo Sonata beteiligt, und hat logischerweise dann auch als erster von dem Gewinn des Preises berichtet. Zuvor hatte schon Tom Mes eine Lobeshymne auf den Film gesungen, auf seiner Seite Midnight Eye, für die auch Jason Gray regelmäßig schreibt. Und auch Nicholas Rucka, weiterer Herausgeber von Midnight Eye, verwies in seinem Blog auf die Berichte bzw. Kritiken von Mes und Gray zu Tokyo Sonata.
Das soll jetzt nicht als Verurteilung oder dergleichen verstanden werden, ich schätze die oben erwähnten Kinoverrückten sehr. Es zeigt aber auch, wie klein die „Szene“ ist und wie schnell Interessenskonflikte entstehen können, wenn man von der berichtenden und beurteilenden Seite auf die produzierende wechselt.
Yasujiro Ozu wurde nicht zuletzt wegen seines außergewöhnlichen, unverkennbaren Stils zu einer Ikone der japanischen Filmgeschichte. Gerne genannt werden etwa die niedrig positionierte Kamera, die Beschäftigung mit der (japanischen) Familie oder die besondere Nutzung des Raums welche im Widerspruch mit Hollywood-Konventionen steht. Zu diesen Markenzeichen gehören jedoch auch ganz simple, wiederkehrende Motive, von denen ich heute ein Weiteres vorstellen möchte.
Zugfahrten spielen in fast allen Filmen Ozus eine mehr oder weniger große Rolle. In Story of Floating Weeds werden Züge und Zugfahrten zu einem sehr zentralen Element: Der Film beginnt mit der Ankunft von Kihachis Theatertruppe am Bahnhof, dort werden die wichtigen Figuren eingeführt. Am Ende steht wieder eine Zugfahrt, diesmal Kihachis Abreise und die Versöhnung mit seiner Geliebten Otaka im Zugabteil. Die Mobilität symbolisierende Zugfahrt wird so zum Ort geistig-emotionaler Mobilität. Doch mit diesem Versprechen der Mobilität sind auch Sehnsüchte und Hoffnungen verbunden, auf die in einer anderen Szene angespielt wird, nämlich als ein heimliches Liebespaar die Unmöglichkeit der Beziehung beklagt und dann sehnsüchtig einem vorbeifahrenden Zug hinterhersieht, der ihnen als einziger Ausweg erscheinen mag.
In Tokyo Story sind Shukichi und Tomi ständig mit Zügen unterwegs und es wird dauernd über Zugfahrten geredet, man sieht die beiden aber nur einmal am Bahnhof. Erst ganz am Ende des Films, als Noriko nach Tomis Beerdigung wieder nach Tokyo zurückfährt, sieht man tatsächlich einen Zug und wie sie darin – eine Taschenuhr in den Händen – mutmaßlich über die Vergänglichkeit der Dinge nachdenkt und darüber, wie die Zeit die Menschen und ihr Leben verändert.
Verschiedene Formen der Fortbewegung und Mobilität spielen in Flavor of Green Tea over Rice eine ganz zentrale Rolle. Gleich in der Auftaktszene sehen wir die beiden Hauptdarstellerinnen gemeinsam bei einer Taxifahrt und wie die Stadt an ihnen vorbeihuscht. Gegen Ende des Films werden dann der Flughafen und ein Flug nach Uruguay zu wichtigen Handlungselementen. Dazwischen steht die Zugfahrt von Taeko, als sie aus Frustration angesichts ihrer Ehekrise Hals über Kopf aus Tokyo abreist.
In anderen Filmen dagegen sind Zugfahrten normaler Bestandteil des alltäglichen Lebens, häufig etwa beim Pendeln zur Arbeit. Ein Beispiel dafür wäre Später Frühling, in dem Shukichi mit dem Vorortzug in die Stadt zur Arbeit fährt. Da er dabei manchmal auch von seiner Tochter begleitet wird, nutzt Ozu diese gemeinsamen Fahrten, um das innige Verhältnis der beiden zueinander zu beleuchten.
Das Pendler-Szenario wird manchmal aber gar nicht durch die Zugfahrten selbst visualisiert sondern etwa mittels der Bahnhöfe, wartender Pendler oder von Gleisanlagen. Ein Beispiel dafür findet sich beispielsweise in Early Spring:
Züge und Zugfahrten stehen kulturhistorisch symbolhaft für vielerlei in Filmen: Das Reisefieber, die Sehnsucht nach der Ferne, Kraft und Veränderungen (man denke an Once Upon a Time in the West), Flucht oder Selbstfindung (siehe The Darjeeling Limited). Ozu machte in seinen Filmen sehr unterschiedlichen Gebrauch von Zügen und nutzte dabei all die verschiedenen Assoziationen und Hintergründe gleichermaßen, wie es nur ein Meister seines Fachs kann.
Weitere Markenzeichen Ozus:
Teil I – Sackleinen
Teil II – Trocknende Wäsche
Original: Ochazuke no aji (1952) von Yasujiro Ozu
Zwischen den „Großen Drei“ seiner Noriko-Trilogie, deren dominierendes Thema die Abkopplung der Kinder von den Eltern ist, drehte Ozu zwei Filme, die sich mit den Problemen von Ehepaaren beschäftigen. Der erste, The Munekata Sisters, ist wohl eines der am wenigsten bekannten Werke Ozus, ob zu Recht kann ich nicht beurteilen. Den zweiten, unmittelbar vor Tokyo Story gedrehten, will ich heute vorstellen.
Taeko (Michiyo Kogure) ist wohlhabend, reichlich versnobt und mit ihrer Ehe unzufrieden. Ihren Mann Mokichi (Shin Sabure) verspottet sie vor ihren Freundinnen, gibt ihm lächerliche Spitznamen und vergleicht ihn mit einem trägen, dümmlichen Karpfen. Mokichi, dem der Zustand seiner Ehe durchaus bewusst ist, ist aber viel zu gutmütig, um sie in die Schranken zu verweisen. Auch gegenüber seiner Nichte Setsuko (Keiko Tsushima) ist er sehr nachgiebig und erlaubt ihr, ihn zum Fahrradrennen zu begleiten, obwohl sie eigentlich einen potenziellen Bräutigam treffen sollte.
Für Setsuko ist die Ehe von Taeko und Mokichi ein abschreckendes Beispiel, sie will auf keinen Fall einen Mann heiraten, den ihre Familie für sie aussucht, sondern einen den sie wirklich liebt. Mit ihrem aufsässigen Verhalten sorgt sie jedoch unbewusst für eine weitere Zuspitzung in der Ehekrise der beiden, in der es schließlich wegen einer alltäglichen Kleinigkeit zum offenen Konflikt kommt: Taeko verreist für einige Tage.
Genau zu diesem Zeitpunkt erfährt Mokichi von seiner umgehenden Versetzung nach Uruguay. Taeko kehrt erst nach seinem Abflug zurück und wie sie allein in dem großen Haus sitzt, wird ihr klar, wie sehr Mokichi ihr fehlt. Da steht er plötzlich in der Tür – das Flugzeug musste wegen technischer Probleme umkehren – und die beiden essen gemeinsamen mitten in der Nacht eine schnell improvisierte Portion Reis mit grünem Tee und Taeko verliebt sich nach all den Jahren Ehe endlich in ihren Mann.
Ozu verlagert den Schwerpunkt immer wieder geschickt zwischen den beiden zentralen Konflikten des Films, der Ehekrise auf der einen und Setsukos Streben nach Selbstbestimmung auf der anderen Seite. So werden beide Varianten, die traditionelle, arrangierte Ehe und die unkonventionelle Liebesheirat beleuchtet. Lange sind dabei die Sympathien klar verteilt, bis sich Mokichi und Taeko überraschend versöhnen und in der letzten Szene mit Setsuko und ihrem „Auserwählten“ Noboru vorsichtig angedeutet wird, dass auch Liebesehen nicht vor Krisen und Streit gefeit sind.
Damit hätte Flavor of Green Tea over Rice über weite Strecken auch gut von einem Mikio Naruse sein können (wenn dieser wohl auch eher Taeko statt Mokichi in die „Opferrolle“ gesteckt hätte), aber das versöhnliche Ende und die Rehabilitation der traditionellen, arrangierten Ehe ist dann doch ganz Ozu. Besonders wie dieses inszeniert ist, ist typisch für den Meister: Zuerst sehen wir Taeko allein in dem Zimmer, in dem ihr Mokichi wenige Tage zuvor noch zu erklären versucht hatte, warum er manche Dinge ganz anders sieht als sie. So entsteht eine ausgeprägte Parallele, die ihre völlig unterschiedlichen Gemütsauffassungen und die daraus folgende Erkenntnis betonen. Im oberen Screenshot ist sie ganz die eingebildete, sture und von ihrer Überlegenheit überzeugte Frau, später fühlt sie sich einsam, allein und verunsichert.
Dass die eigentliche Versöhnung dann über einem Nachtmahl mit dem aus Tee und Reis bestehenden Armeleute-Essen Ochazuke erfolgt, das mit seinen Basiszutaten Reis und grünem Tee wie kaum ein anderes symbolhaft für die japanische Kultur und Tradition steht, betont natürlich die Sympathie, die trotz allem der traditionellen Ehe entgegengebracht wird. Zudem hatte Ozu bereits in Später Frühling sehr stark mit Symbolen gearbeitet (Noh, Teezeremonie, shintoistische Hochzeit), und damit einen Kontrapunkt zur rasanten Modernisierung nach dem Krieg gesetzt.
Man kann die symbolhafte Verwendung von Ochazuke aber auch anders deuten: Dass Ozu es nämlich auf die Parallele zum Eheleben abgesehen hat, das genauso fad und eintönig sei wie Reis mit grünem Tee, eine Aussage, die sich in ähnlicher Form immer wieder in seinen Filmen findet. Was besonders vor dem Hintergrund, dass Ozu nie verheiratet war, besonders interessant ist. Also durch und durch ein typischer Ozu, dessen Happy End aber vielleicht ein bisschen zu harmonisch und optimistisch geraten ist.