28 Mai
Im Takashi Miike-Blog dreht sich wenig überraschend alles um Takashi Miike und seine Filme. News und Wissenswertes stellen den Hauptanteil der Posts, dazu kommen sehr umfangreiche Linksammlungen zu einigen der wichtigsten Filme Miikes.
Björn hat in seinem Filmtagebuch eine schöne Akira Kurosawa-Retrospektive begonnen, es gibt schon Rezensionen zu einigen der ganz alten und seltenen Filme wie Die Männer die dem Tiger auf den Schwanz traten oder Am Allerschönsten (den ich auch noch nicht kenne). Hoffe, dass da noch mehr kommt. Ganbatte ne! 🙂
Zwar kein Blog aber eine interessante Seite rund um das asiatische Kino (China, Indien, Korea, Japan) ist filmische.ekstase. Dort gibt’s zahlreiche Reviews vor allem zu aktuellen japanischen Filmen, aber auch jede Menge Info wie Filmstarts oder Festivaldaten.
27 Mai
Auf AKNI gesehen: Eine Dokumentation mit Interviews von Akira Kurosawa und Blicken hinter die Kulissen der Dreharbeiten von Rhapsody in August. Der Großmeister gibt Einblicke rund um seine Filme und philosophiert, was Filmemachen für ihn ausmacht. Das Ganze besteht aus elf Teilen, von denen sich jeder mit einem Aspekt der Entstehung eines Films befasst und dies an Beispielen aus Kurosawas Schaffen verdeutlicht.
Viele der Anekdoten finden sich in ähnlicher Form bereits in seiner Autobiographie, an deren Ende sich ja auch eine Reihe von „Tipps für Regieanfänger“ findet. Trotzdem ist die Dokumentation schön gemacht und die Interviews mit dem Tenno sowie die Aufnahmen von den Dreharbeiten zu Rhapsody in August (bei denen der simultane Einsatz mehrerer Kameras beobachtet werden kann) sind natürlich absolut sehenswert (auch wenn die Untertitel manchmal arg daneben sind).
Highlights sind für mich die wunderbaren Storyboards zu Madadayo in Teil 3, die Demonstrationen typischer Kameratechniken in Teil 4, seine außergewöhnlichen Fähigkeiten als Cutter in Teil 8, die Anekdoten zum Einsatz der Musik in Rashomon und Die Sieben Samurai in Teil 9 sowie der Rückblick auf seine frühen Tage als Regieassistent in Teil 10.
Außerdem bereitet die University Press of Mississippi ein Buch mit einer umfangreichen Sammlung von Kurosawa-Interviews vor, das Inhaltsverzeichnis gibt es auch bei AKNI.
Jaha, dies ist mein 100. Blogpost auf Japankino! Ursprünglich hatte ich mit dem Erreichen dieser Marke erst für das einjährige Jubiläum im September gerechnet, aber das Bloggen und die Filme haben mir richtig Spaß gemacht, es kam ein Post zum anderen und eh ich mich versah… Jedenfalls möchte ich zu diesem freudigen Anlass eine DVD verlosen, und zwar Yasujiro Ozus Klassiker Tokyo Story, für viele Kenner einer der besten Filme aller Zeiten. OK, es handelt sich „nur“ um eine Hongkong-DVD und nicht die noble Criterion-Ausgabe; die gibt’s erst beim tausendsten Post. 😉
Alles was du tun musst, ist, deine drei japanischen Lieblingsfilme im Kommentarfeld einzutragen oder mir per E-Mail zu schicken (dabei darauf achten, dass du die E-Mail-Adresse richtig angibst, sonst kann ich dich nicht kontaktieren, falls du gewinnst). Wenn du den Film schon hast, kannst du natürlich trotzdem gerne mitmachen! Ein kurzer Hinweis, dass du nicht an der Verlosung teilnehmen möchtest, wäre aber nett.
Die Aktion läuft bis Samstag, dem 2. Juni 2007 um 18.00 Uhr. Viel Glück!
Gut Ding will manchmal einfach Weile haben, so auch dieses Fazit zum seit immerhin fünf Tagen beendeten 8. Japanischen Filmfestival Hamburg. Die Kurzfassung vorneweg: Die Filme fand ich sehr gut ausgewählt, aber am Drumherum gibt es noch einiges zu verbessern.
Das Programm bot ein breites und ausgewogenes Spektrum an Genres und Themen, neben Filmen etablierter Größen wie Takashi Miike gab es absolute Newcomer zu sehen (es bleibt zu hoffen, dass hier die Kooperation mit dem CO2-Festival weiter vertieft wird) und auch zwei ausgezeichnete Anime waren im Programm. Dafür ein großes Lob an die Macher, weiter so! Von den 16 (oder 17? – ich weiss schon gar nicht mehr) Filmen die ich gesehen habe, würde ich keinen einzigen als schlecht bezeichnen. Vielleicht habe ich auch einfach ein glückliches Händchen bei der Auswahl gehabt, aber ich habe durch die Bank gute und auf die eine oder andere Art interessante Filme gesehen.
Deshalb fällt es mir jetzt auch schwer, ein Ranking zu erstellen, aber in einem Fazit muss das natürlich sein! Also, hier die Gewinner des Japankino-Publikumspreises 😉
Der erste Platz geht an Strawberry Shortcakes, weil er wie kein anderer einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen hat, und zwar ausschließlich auf Grund seiner Charaktere, nicht wegen irgendwelcher schön in Szene gesetzter Bilder. Auf dem zweiten Platz folgt Paprika, der wirklich ein würdiger Abschluss des Festivals war und mit seiner unbändigen Energie jeden mitreißen dürfte, und danach Norikos Dinnertable (aber nur ganz ganz knapp vor Baumkuchen), der für mich die Überraschung des Festivals war: In der ersten halben Stunde war nicht im geringsten absehbar, was das alles soll und worauf dieser Film hinauslaufen würde, Leute verließen das Kino, und dann entwickelt sich aus diesen Bruchstücken ein ganz vorzüglicher – wenn auch schwer zugänglicher – Film… bemerkenswert!
Mein Eindruck war dann auch, dass die meisten Filme gut besucht waren und die wenigen Ausnahmen (ein halbes Dutzend Leuten bei Kurzfilmen völlig unbekannter Nachwuchstalente) sind absolut nachvollziehbar. Etwas gewundert hat mich jedoch die vergleichsweis geringe Besucherzahl bei den beiden Animes Paprika und Tekkonkinreet, da hatte ich angesichts der inzwischen doch zahlreichen Anime-Fans mit vollen Kinosälen gerechnet. Vielleicht liegt in diesen eher enttäuschenden Zuschauerzahlen auch der Grund, warum nur zwei Animes gezeigt wurden, obwohl ja fast die Hälfte aller in Japan produzierten Filme Animes sind.
Eine sehr schöne Idee war das sonntägliche Filmfrühstück, auch wenn dabei leider kaum über die Filme gesprochen wurde. Damit komme ich dann auch zu etwas, was mir sehr gefehlt hat, nämlich die Möglichkeit, sich über die Filme auszutauschen. Gerade im Metropolis, das mit seinem Cafe einen exzellenten Rahmen für ein Diskussionsforum, für Gespräche nach den Filmen bietet, müsste das eigentlich machbar sein. Generell ist beim Rahmenprogramm auch für Gelegenheitsbesucher noch viel Luft nach oben, auch wenn man natürlich nicht dasselbe erwarten kann wie beim NipponConnection-Festival in Frankfurt.
Wenn hier in Zukunft für den diskussionswilligen Cineasten auf der einen und den Event-Besucher auf der anderen Seite noch ein bisschen was geboten wird und dazu noch die diskutierte richtig gute Homepage kommt, dann ist das eine runde Sache! So oder so, ich hatte eine tolle Zeit, es hat großen Spaß gemacht und ich freue mich auf nächstes Jahr!
24 Mai
Original: 46-okunen no koi (2006), von Takashi Miike
Natürlich hatte ich schon viel von Takashi Miike gehört und gelesen, aber Big Bang Love ist tatsächlich meine erste Erfahrung mit einem Miike-Film, da mein Spezialgebiet ja eher die japanischen Klassiker sind. Ich wusste, dass Miike als Workaholic gilt, der auch mal 8 oder 9 Filme pro Jahr dreht, dass ihm ein Hang zum Absonderlichen nachgesagt wird, dass Gewalt in vielen seiner Filmen eine prominente Rolle einnimmt und dass er als einer der genialsten Regisseure der Gegenwart gilt. Entsprechend gespannt war ich auf Big Bang Love.
Der beginnt mit einem Shakespeare rezitierenden Schauspieler allein auf einer Bühne, dann einem kleinen Jungen vor rotem Hintergrund, der ein Mann werden möchte und sich dazu ein Vorbild aussuchen soll. Danach beginnt die eigentliche Geschichte, die sich um Jun (Ryuhei Matsuda) dreht, Kellner in einer Schwulenbar, der wegen der grausamen Tötung eines Kunden ins Gefängnis kommt. Dort trifft er auf den am ganzen Körper tätowierten, zu spontaner Gewalt neigenden Shiro (Masanobu Ando) und erwürgt ihn vorgeblich. Doch warum? Und war er es wirklich oder gab es nicht andere, die Shiro getötet haben könnten?
So entwickelt sich eine schwer durchschaubare Mystery-Geschichte, die angesichts der abstrakten Elemente des Films fast in den Hintergrund tritt: Das Gefängnis besteht aus auf den Boden gezeichneten Zellen wie in Dogville, eine gigantische Pyramide und die Startrampe einer Rakete sind vom Gefängnis aus zu sehen, Sonnenstrahlen durchdringen schlagende Herzen.
[flash]http://www.youtube.com/watch?v=OkB5jNNqOM4[/flash]
Es gibt ein paar Elemente, die ich zu so etwas wie einer Interpretation zusammenfügen würde; dazu gehören der japanische Originaltitel (übersetzt heisst er soviel wie „460 Millionen Jahre Liebe“), die Pyramide als eines der größten Rätsel der Menschheit und die Geschichte um das unbekannte Motiv für die Ermordung (oder den Selbstmord?) Shiros. Nehme ich diese für die Rätselhaftigkeit des Menschen und die Bedeutung der Liebe stehenden Elemente zusammen, würde ich sagen, dass es in Bing Bang Love um das Rätsel der Liebe schlechthin geht, die Hoffnung und Kraft die sie dem Menschen seit Anbeginn der Zeit gibt und die Möglichkeiten, die sich ihm durch sie eröffnen, aber auch um die Abgründe, in die sie uns stoßen kann.
Das klingt jetzt vielleicht ganz nachvollziehbar, aber genauso gut könnte ich andere im Film vorkommende Symbole herausgreifen, die dieses Konstrukt schnell in sich zusammenbrechen lassen. Da geht es nämlich auch um das Erwachsenwerden (der Junge, der sich ein Vorbild für seine Mannwerdung sucht), um die Suche nach der eigenen Identität (Shiro, der mal mit Tätowierung zu sehen ist und dann wieder ohne) und vieles mehr.
Nachdem ich Big Bang Love gesehen und mir den Kopf darüber zerbrochen habe, habe ich natürlich auch viele andere Kritiken gelesen. Mein Eindruck war, dass jeder den Film irgendwie gut findet, mit großen Worten die Gründe dafür zu erklären versucht, aber niemand genau sagen kann woran es letztlich liegt. Und dass niemand den Durchblick, den Schlüssel zu all diesen Symbolen und Metaphern gefunden hat und ihre Beziehung zu den Charakteren und der Haupthandlung in einen sinngebenden Gesamtkontext einordnen kann. Am besten, du siehst dir Big Bang Love selbst an, denn das ist definitiv ein Film, der in jedem Zuschauer etwas anderes bewegen und andere Gedanken hervorbringen kann. Und allein deshalb ist er gut und sehenswert!
Wer sich noch alles keinen Reim auf den Film machen konnte: midnighteye, Der Tagesspiegel, Filmstarts, Asianfilmweb, Berlinaleblog, plomlompom, filmkritiken.org, Heroic-cinema.
22 Mai
Original: Paprika (2006) von Satoshi Kon
Gegen 0.30 Uhr endete die Vorführung von Paprika, und obwohl es mein vierter Film an diesem Tag gewesen war hätte ich ihn mir am liebsten gleich noch einmal angesehen! So mitreißend ist die intelligente Geschichte dieses neuen Meisterwerks von Satoshi Kon, in dem er mit den Gegensätzen von Wirklichkeit und Traum spielt, die sich letztlich in Filmen auflösen. Absolut genial!
Namensgeberin des Films ist die überaus wandelbare Traumfigur Paprika, alter Ego der Psychologin Chiba, die fließend zwischen den beiden Welten wechseln kann. Diese Fähigkeiten nutzt sie, um dem Polizisten Konagawa bei der Überwindung eines Traumas zu helfen. Ermöglicht wird ihr dies durch das DC Mini, ein Gerät, mit dem Psychiater Träume ihrer Patienten wie einen Film aufzeichnen, analysieren und sogar an diesen teilhaben können.
Als eines der Geräte gestohlen und missbraucht wird, um in die Träume der Menschen einzudringen, sie zu manipulieren und ihr Unterbewusstsein zu zerstören, begibt sich Paprika auf die Suche. Diese führt sie in die Traumwelten verschiedener Menschen, die unter dem Einfluss des DC Mini immer mehr miteinander, aber auch mit der Wirklichkeit verschmelzen. Dabei bekommt sie überraschend Hilfe von Konagawa, der so der Überwindung seines Traumas näher kommt. Doch auch Paprika/Chiba muss sich ihrem eigenen, zwischen zwei Welten bzw. Persönlichkeiten schwankenden Unterbewusstsein und ihren Gefühlen stellen.
Der Film beginnt mit Konagawas Traum, einem Zaubertrick in einem Zirkus, und so wie ein Zauberer kleine Kinder in seinen Bann zieht, so bezaubert auch Satoshi Kon mit diesem Film. Das Tempo von Paprika ist in den Traumsequenzen geradezu halsbrecherisch, die Fantasie der Animateure scheint keine Grenzen zu kennen und der exzellente Soundtrack trägt ebenfalls dazu bei, dass man sich dem Bann dieses Films nicht entziehen kann.
Die Geschichte ist sehr komplex, bietet reihenweise überraschende Wendungen – allein durch die fließenden Wechsel von Traum und Realität- sowie reichlich Hinweise auf die Rollen der Charaktere und die Entwicklung der Handlung. Diese sind so dicht und doch zugleich fast unmerklich eingewoben, dass vieles beim ersten Sehen unbemerkt bleibt. Das gilt gerade auch für das erste der beiden dominanten Motive des Films, die ich hier erwähnen möchte, die Ähnlichkeit von Traum und Film.
Bereits in der Auftaktsequenz mit Konagawas Traum wird das Thema Film als Äquivalent zum Traum etabliert: In kurzen Momentaufnahmen saust er als Tarzan durch den Dschungel und kämpft a la James Bond in einem Zugabteil (diese Szenen werden später noch mehrfach aufgegriffen). Dann berichtet er Paprika, dass er Filme nicht ausstehen könne. Im weiteren Verlauf stellt sich jedoch heraus, dass er in seiner Jugend von Filmen begeistert war und selbst einen gedreht hatte. Immer wieder sieht er sich mit Filmplakaten konfrontiert und mehrere Szenen spielen in einem Kinosaal, wo er Paprika auch erklärt, wie ein Achsensprung über die 180°-Grad-Linie sich auf einen Film auswirkt. Dabei trägt er die für Akira Kurosawa typische Mütze und Sonnenbrille (eine grandiose Idee und – wenig überraschend – eine meiner Lieblingsszenen).
Das zweite immer wieder auftretende Motiv ist die scheinbar grenzenlose Wandlungsfähigkeit von Paprika, die auch im Trailer schön zum Ausdruck kommt. Allein während des Vorspanns wechselt sie fast im Sekundentakt ihr Aussehen und springt zwischen komplett verschiedenen Kontexten und Bildebenen hin und her. Damit wird ihr eine allgegenwärtige Agilität, ja Macht zugewiesen, die ihren Höhepunkt im Showdown des Films findet (mehr werde ich nicht verraten). Diese Macht durch Wandlungsfähigkeit steht für die in Animes häufig anzutreffende implizite Überlegenheit von Frauen gegenüber Männern, die Susan Napier in der japanischen Kultur verwurzelt sieht: „The transformative power of the female body is an important convention in both high and folk culture in Japan.“
Aber bevor ich mich jetzt komplett in Details verliere, empfehle ich einfach jedem, sich diesen Film anzusehen. Gelegenheit dazu gibt es schon bald, denn laut twitch soll am 20. Juni die französische DVD erscheinen, die auch englische Untertitel enthält und die jetzt schon bei Amazon vorbestellt werden kann. Und auch auf die deutsche Ausgabe muss man dann hoffentlich nicht mehr lange warten.
Update: Bei twitch gibt’s jetzt auch einen ausführlichen Bericht zur japanischen Limited Edition DVD von Paprika.
21 Mai
Das Festival ist vorbei *schnief*, Ruhe kehrt wieder ein im Japankino-Blog. Weit gefehlt! Es gibt noch reichlich zu berichten, zu den Filmen vom Wochenende natürlich und auch ein abschließendes Fazit gilt es noch zu ziehen (das aber überwiegend positiv ausfallen dürfte, soviel ist sicher). Zu Big Bang Love und dem absolut umwerfenden Paprika schreibe ich in den nächsten Tagen noch ausführliche Rezensionen, bei den anderen Filmen reicht es nur zu einigen kurz zusammengefassten Eindrücken.
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Filmfrühstück am Sonntag Vormittag, nach Croissants und Kaffee wurde Wie Ashura gezeigt, in dessen Zentrum vier Schwestern stehen, die erfahren, dass ihr Vater ein Verhältnis hat. Sie wollen die Mutter vor der schmerzenden Erfahrung bewahren, beginnen dabei aber ihre eigenen Beziehungen, Ehemänner und Geliebten zu hinterfragen. Auch der Zusammenhalt der Schwestern untereinander wird immer wieder auf die Probe gestellt. Nachdem ich anfangs die Befürchtung hatte, der Film würde sich in einseitiger Verdammung von Männern erschöpfen, lief es letztlich aber auf eine recht ausgewogene Darstellung der Probleme zwischen Männern und Frauen hinaus – so ausgewogen das bei vier weiblichen Protagonistinnen möglich ist.
Auf ruhige, teilweise auch amüsante Weise zeigt Wie Ashura, dass in der Liebe jeder Schmerzen verursacht, aber auch selbst zu fühlen bekommt. Außerdem ist der Film stilistisch gut umgesetzt, verschiedene Motive tauchen immer wieder auf, wie etwa das Herunterfallen zerbrechlicher Dinge wie Gläser, Vasen oder roher Eier, eine schöne Anspielung auf die Verwundbarkeit liebender Menschen. Der Film basiert übrigens auf einem populären Buch, was die erstaunlich hohe Anzahl japanischer Besucherinnen mit erklären dürfte.
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Kurzbericht zu Vital, einem Film von Shinya Tsukamoto, einem der bekanntesten zeitgenössischen Regisseure Japans. Superstar Tadanobu Asano spielt Hiroshi, der bei einem Autounfall sein Gedächtnis verliert, während seine Freundin Ryoko ums Leben kommt. Mit der Wiederaufnahme seines Medizinstudiums kehren auch immer mehr Erinnerungen zurück. Doch dann hat er eines Tages die Leiche seiner Freundin auf dem Seziertisch vor sich liegen und wird sich bewusst, dass sie aus dem Jenseits zu ihm spricht.
Vital ist auf jeden Fall ein ästhetisch sehr ansprechender Film, der verschiedene Handlungsebenen mit je unterschiedlichen Farben und Formen verbindet und viele schöne Bilder auf die Leinwand wirft. Aber auch wenn das Ende offen sein soll, blieb mir doch zu viel im Unklaren. Welche Bedeutung nimmt etwa die mysteriöse Kommilitonin Ikumi (Kiki, eine alte Bekannte aus The Pavillion Salamandre) ein, die ebenfalls den Tod eines früheren Liebhabers verarbeiten muss, aber gegen Ende des Films komplett in der Versenkung verschwindet? Auf mich wirkt der Film, als ob Regisseur Tsukamoto bei all dem Verwischen von Realität, Jenseits und Erinnerung selbst den Überblick darüber verloren hätte, was er eigentlich bezweckte.
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Ein weiterer Film aus der Kooperation mit dem CO2-Festival Osaka: Coming with my Brother. Die WG-Freundinnen Nao und Saki feiern gerade Naos Geburtstag, als deren Bruder auftaucht. Nao ist zunächst schockiert, als sie entdeckt, dass er sich für ihre Unterwäsche interessiert und sie mit einer versteckten Kamera aufnimmt. Sie fühlt sich aber zunehmend geschmeichelt und gibt ihren eigenen erotischen Gefühlen für ihren Bruder nach. Doch dann überschlagen sich die Ereignisse, es stellt sich heraus, dass er in Wirklichkeit hinter Saki her ist, während diese Nao ihre Liebe gesteht.
Ein ambitioniertes Thema hat sich Regisseur Kota Yoshida vorgenommen, mit einer interessanten Dreiecksgeschichte unter Einbeziehung aller Spielarten sexueller Anziehung, mit Tabubrüchen, Erwachsenwerden und dem Entdecken der eigenen Sexualität. Doch leider gleitet der Film zu häufig ins Lächerliche ab, das aber nicht so konsequent, als dass er als satirischer Kommentar betrachtet werden könnte. Auch ästhetisch hat er nicht viel mehr zu bieten als eine verwackelte Handkamera, die mal ganz nah dran ist, und dann wieder in die Ferne rückt.
20 Mai
Original: Noriko no shokutaku (2005) von Sion Sono
Als etwa 20 bis 30 Minuten des Films vorüber waren, haben die ersten Zuschauer das Kino verlassen. Der Film nimmt sich nämlich gerade am Anfang sehr viel Zeit, um in die Gedankenwelt der Protagonisten einzutauchen, was überwiegend durch Erzählungen aus der Ich-Perspektive erfolgt. Diese permanente Erzählung aus dem Off wirkte schnell ermüdend, aber wer die Geduld aufbrachte und sich den Film zu Ende ansah, wurde belohnt.
Norikos Dinnertable baut auf Sion Sonos früherem Film Suicide Club auf, erzählt aber nicht eine breitere, auf eine ganze Generation gemünzte Geschichte sondern die einer einzelnen Familie: Noriko (Kazue Fukiishi) ist ein gewöhnlicher Teenager, lebt mit Vater, Mutter und ihrer Schwester Yuka (Yuriko Yoshitaka) in einer Kleinstadt in behüteten Verhältnissen, aus denen sie sehnlichst ausbrechen will. Zunächst flüchtet sie sich ins Internet, wo sie mit ähnlich denkenden Mädchen chattet und Ueno54 (Tsugumi) kennenlernt, mit der sie sich schnell anfreundet. Dieses Mädchen, Noriko nur unter seinem Chat-Pseudonym bekannt, inspiriert Noriko dazu, nach Tokyo auszureißen und Ueno54 persönlich kennenzulernen.
In Tokyo trifft sie ihre Internetbekanntschaft, die im wirklichen Leben Kumiko heisst und eine Agentur leitet, die für Kunden ein glückliches Familienleben simuliert. Auch Noriko wird für die Agentur tätig, nimmt je nach Situation verschiedene Rollen an und vergisst darüber ihre eigene Familie. Als ihre Schwester Yuka ihr nachfolgt und die Mutter sich daraufhin das Leben nimmt, begibt sich der Vater (Ken Mitsuishi) auf den Spuren seiner Töchter nach Tokyo. In einem finalen Treffen werden alle mit ihrem Versagen und ihrer Unzufriedenheit in ihren jeweiligen Rollen konfrontiert, die zerbrochene Familie findet dadurch wieder zusammen.
In dieser kurzen Zusammenfassung mag das alles ganz verständlich und nachvollziehbar klingen, aber der Film ist wirklich hartes Brot! Die Monologe aus dem Off dominieren das erste Drittel des 160 Minuten langen Films fast komplett und durch die verschiedenen Perspektiven der jeweils berichtenden Familienmitglieder ist oft unklar, welcher Version nun „geglaubt“ werden kann. Die Verquickung der Familien-Agentur mit dem Suicide Club und verschiedenen Massenselbstmorden von Teenagern, die undurchsichtige Figur der Kumiko (Ueno54) sowie die unruhige Kamera sorgen für zusätzliche Verwirrung und erschweren es, den roten Faden des Films zu erkennen. Vielleicht hätte es geholfen, wenn ich Suicide Club gekannt hätte.
Unter dem Strich ist Norikos Dinnertable jedoch eine brillante Analyse der Rollen, die es in einer Familie einzunehmen gilt, und welche Schwierigkeiten Menschen dabei haben, diesen Rollen und ihren Anforderungen zu entsprechen. Durch die Perspektivwechsel werden die Hintergründe, die Motive und die Ziele und Wünsche der Personen immer wieder neu beleuchtet. Die Familienagentur ist letztlich das Vehikel, das es den Protagonisten erlaubt, aus ihren erlernten, festgefahrenen Rollen auszubrechen, ihre Probleme endlich zu verbalisieren und sich darüber auszutauschen und dadurch letztlich die Rolle so auszufüllen, dass sie mit sich selbst und den anderen im Einklang sind. Sehr sehenswert, nicht nur für Studenten der Soziologie und Psychologie!