Original: Majo no takkyubin (1989) von Hayao Miyazaki

Seufz! Ach, was ein schöner Film! Berauschend schöne Landschaften, wo man nur hinsieht unfassbar viele liebevolle Details und immer wieder fast expressionistische Einstellungen, die der Charakterentwicklung Kikis Ausdruck verleihen. Miyazakis Perfektionismus erreichte mit diesem Film einen ersten Höhepunkt, und das nicht nur, weil er sich zur Vorbereitung des Films einen ganzen Tag an einem belebten Platz auf eine Parkbank setzte, um die Bewegungen von Röcken und Kleidern zu studieren!

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Der Plot ist schnell zusammengefasst: Die 13jährige Hexe Kiki macht sich zusammen mit ihrem Kater Jiji auf in die große Stadt, um ihr Lehrjahr zu absolvieren. Anfängliche Schwierigkeiten überwindet sie dank der Hilfe einer Bäckersfamilie, bei der sie eine Unterkunft findet und die ihr hilft, einen kleinen Lieferservice aufzubauen.

Doch diese Erfolge können nur kurz darüber hinwegtäuschen, dass Kiki einfach anders als andere Mädchen ist und es ihr deshalb schwer fällt, auf Menschen zuzugehen und Anschluss zu finden. Sie rutscht in eine tiefe Krise, verliert sogar ihre Zauberkräfte. Erst als ihr einziger Freund, der Junge Tombo, in Gefahr gerät, besinnt sie sich auf die tief in ihr schlummernden Fähigkeiten.

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Ganz ähnlich wie in Mein Nachbar Totoro geht es in Kikis kleiner Lieferservice nicht um äußere Bedrohungen und Konflikte zwischen Gut und Böse wie in den meisten Disney-Filmen, sondern um Kikis Entwicklung als Persönlichkeit angesichts der Herausforderungen des Lebens. Sie verlässt ihr Zuhause, ihre Freundinnen und ihre Familie und beginnt ein neues Leben in einer völlig anderen Umgebung, in der sie einen Platz für sich selbst finden, sich beweisen und selbst definieren muss.

Auf der Suche nach diesem Platz für sich wäre Kiki gerne genauso modisch schick gekleidet wie die Mädchen aus der Stadt und in einer Szene bestaunt sie wehmütig die schönen aber für sie viel zu teuren Kleider in einem Schaufenster. Zugleich ist sie aber auch stolz darauf, sie selbst und damit anders zu sein, will sich dies nicht nehmen lassen und schwimmt bewusst gegen den Strom. Und am Ende wird sie für ihr Durchhaltevermögen und ihre Treue zu sich selbst belohnt.

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Kiki ist ein wunderbarer Film über das Erwachsenwerden, über den Kampf um eine eigene Identität und einen Platz im Leben. Er ist dabei frappierend ehrlich und verharmlost nicht, wie schwer dieser Kampf sein kann. Er zeigt aber auch, dass man sich dabei auf die Hilfe anderer verlassen kann und dass es sich lohnt, selbst anderen zu helfen. Außerdem bietet er natürlich auch ein Happy-End, das, wie oft bei Miyazaki, im Abspann die weiteren Erlebnisse Kikis andeutet.

Hier sehen wir auch nochmal Kiki, wie sie sich am selben Schaufenster wieder die Nase plattdrückt, bis ihr ein vorbeilaufendes, genau wie sie gekleidetes Mädchen (inklusive kleinem Besen!) auffällt: Aus der Außenseiterin wurde ein Vorbild für andere.

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Und noch in einer anderen Hinsicht greift das Ende den Anfang des Films auf: In einer Sequenz, die eine ganze Reihe von Bildern der Eröffnungssequenz wiederspiegelt, sehen wir Kikis Eltern, die einen Brief von ihr erhalten und dabei genau so aufgeregt sind wie Kiki selbst vor ihrem Aufbruch. In diesem Brief schildert sie ihnen, dass sie jetzt in der Stadt ein neues Zuhause gefunden hat und glücklich ist.

Miyazakis erklärtes Ziel war es, einen Film als Ansporn und Ermutigung für junge Frauen, sich selbst in der Gesellschaft zu behaupten, zu machen (auch heute noch ein großes Thema, nicht nur in Japan). Das gelang ihm auf so bewundernswerte Weise, dass der Film jungen Menschen generell viel über das Leben vermittelt.

Jedes Kind sollte Kikis kleiner Lieferservice gesehen haben, und Erwachsene ebenso!

Ein Blog, den ich ohne eine Sekunde zu zögern in meinen Feedreader aufgenommen habe: Akira Kurosawa News and Information. Weitere Kommentare erübrigen sich.

Noch am Anfang aber sehr vielversprechend: Der Stummfilmblog. Sehr lobenswert, die Konzentration auf Stummfilme (gute themenspezifische Filmblogs sind leider immer noch dünn gesät) und dass gleich mein Beitrag über Isuzu Yamada verlinkt wurde. 🙂

Ebenfalls interessant und gut gemacht sieht Page of Madness aus, auch wenn der wohl noch in der beta-Phase ist. Wartet aber trotzdem schon mit einer ganzen Reihe weiterführender Links und Hinweise auf. Hoffe mal, dass demnächst die ersten Beiträge kommen und der versprochene Festivalbericht dann dabei ist.

Das Nippon Connection Festival 2007 ist vorbei, es gab laut Pressemeldung 16.000 Besucher, die 170 Filme ansehen konnten. Der mit 2.000 Euro dotierte Nippon Cinema Award ging an Isshin Inudous La Maison de Himiko.

Eigentlich wollte ich hier jetzt gleich einige Augenzeugen-Berichte anführen, aber die Suche bei technorati brachte doch ziemlich dünne Ergebnisse… wer was gelesen hat oder selbst dort war: Bitte um kurzen Hinweis in den Kommentaren! Jedenfalls gibt es bei kimera und im tmdarkstar-Blog Eindrücke und Zusammenfassungen zu einigen Filmen zu lesen. Hoffe, dass in den nächsten Tagen noch ein bisschen was nachkommt…

Update: Bei den Fünf Filmfreunden finden sich jetzt auch ein paar Eindrücke von der NC 2007.

Außerdem:
Das Programm des 8. Japanischen Filmfestivals Hamburg ist endlich da! (Komisch nur, dass ich trotz Nachfrage per Mail nichts davon erfahren hab). Mehr dazu jedenfalls in Bälde!

Osaka Elegy

Original: Naniwa ereji (1936) von Kenji Mizoguchi

Osaka Elegy entstand unmittelbar vor Die Schwestern von Gion und markiert gemeinsam mit diesem einen Meilenstein in der stilistischen und thematischen Entwicklung von Mizoguchi, der mit diesen beiden Filmen zu seinem „feministischen“ Kino der ausgebeuteten, leidenden Frauen fand.

Die Telefonistin Ayako (Isuzu Yamada) ist mit ihrem Kollegen Susumu verlobt, muss sich aber permanent der aufdringlichen Avancen von Asai, Präsident der Firma, erwehren. Da ihr Vater Geld unterschlagen hat und ihr älterer Bruder sein Studium bezahlen muss, bittet sie Susumu, die Mittel aufzutreiben. Doch Susumu lehnt ab, worauf sie widerstrebend einwilligt, gegen Geldgeschenke zur Geliebten ihres Chefs zu werden. Dessen Frau bleibt die Affäre aber nicht lange verborgen, es kommt zum Skandal und sowohl Susumu als auch ihre Familie verstoßen Ayako.

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Der erste Auftritt von Ayako zeigt sie in ihrer Telefonkabine sitzend, hinter Glas, eingerahmt von der Tür. Dieses Motiv des Gefangenseins zieht sich durch den ganzen Film: Immer wieder sehen wir sie durch Fenster hindurch oder eingerahmt von Vorhängen, Türen, Schatten. Sie ist eingezwängt von der Verpflichtung gegenüber ihrer in finanziellen Schwierigkeiten steckenden Familie und gerät dadurch in Abhängigkeit von Männern wie Susumu, der sie im Stich lässt, und ihrem Chef, der sie ausnutzt.

Am verachtenswertesten ist jedoch die Reaktion der Familie, die nur durch Ayakos große Opferbereitschaft ihre prekäre finanzielle Lage meistern kann: Der Bruder kann sein Studium fortsetzen und seine Aussicht auf eine rosige Zukunft wahren, der Vater dem Gefängnis entgehen. Doch anstatt Ayakos Opfer und ihre Selbstlosigkeit anzuerkennen, sehen sie nur die Schande des Skandals und dass dies die Familie kompromittiert.

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Am Ende des Films steht Ayako einsam auf einer Brücke unter einer Straßenlampe und starrt hinunter in die dunkle Leere, die zugleich ihre Zukunft symbolisiert. Dann wendet sie sich vom Licht der Lampe ab, geht die Brücke entlang und schließlich in einer langen Großaufnahme direkt auf die Kamera zu. Sie wirkt dabei gefasst und entschlossen, das Leben bei den Hörnern zu greifen, doch den Zuschauer beschleicht angesichts dieses offenen Endes das Gefühl, dass sie in dieser Welt nicht viel zu lachen haben wird. Ein Ende, das auf frappierende Weise das in Truffauts 23 Jahre später entstandenem Sie küssten und sie schlugen ihn vorwegnimmt, und auch genau dieselbe Stimmung transportiert.

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Auch wenn noch einiges an Konsequenz fehlt, habe ich (trotz der leider ziemlich miesen Qualität der Kopie, die ich ergattern konnte) doch alle für Mizoguchi typischen Elemente angetroffen. Bereits die Eröffnungsszene im noblen Haus Asais – der amüsanterweise völlig unter dem Pantoffel seiner Frau steht – zeigt in einer langen Einstellung nichts als einen Korridor, durch den ein, zwei Dienstboten huschen.

Im anschließenden Gespräch von Asai, dessen Frau und einem befreundeten Arzt offenbaren sich in wenigen Sätzen der Zynismus und die Kälte zwischen dem Ehepaar, dessen glückliche Tage lange zurückliegen. Mizoguchi zeigt die drei Personen immer wieder aus unterschiedlichen Perspektiven, wobei die Kamera auch die 180-Grad-Linie überschreitet, und so die allgegenwärtige Spannung zwischen Mann und Frau und ihr zerbrochenes Verhältnis unterstreicht.

Immer wieder folgt die Kamera Personen in ausgedehnten, für die damalige Zeit großartig umgesetzten Schwenks und Fahrten, die schon eine Vorahnung der unnachahmlich fließenden Kamerabewegungen in Mizoguchis späteren Filmen vermitteln.

Und über all dem schwebt natürlich das Thema der unverschuldeten Abhängigkeit einer starken, selbstbewussten und anständigen Frau von Männern, die keinem dieser Attribute entsprechen. Das Dilemma, genau das zu tun was die Gesellschaft von Frauen erwartet (nämlich sich selbst für ihre Familie aufzuopfern), dadurch aber aus der Gesellschaft ausgeschlossen zu werden, griff Mizoguchi im Verlauf seines Schaffens immer wieder auf.

Akira

Original: Akira (1988) von Katsumo Otomo

Der Film, der Anime auch im Westen bekannt machte und demonstrierte, dass es sich bei Anime nicht nur um Sonntagnachmittagsunterhaltung für Kinder handelt, basiert auf dem gleichnamigen Manga, ebenfalls von Otomo.

Akira beginnt mit der Zerstörung Tokyos durch eine Atombombe. Dann werden wir 30 Jahre in die Zukunft versetzt und lernen Kaneda und Tetsuo kennen, Berufsschüler, gute Kumpels und Mitglieder einer Motorradgang. Bei einer Prügelei mit einer rivalisierenden Bande geschehen jedoch plötzlich seltsame Dinge: Militärhubschrauber tauchen auf, Tetsuo begegnet einem merkwürdig grünlichen Menschlein und wird dann vom Militär in ein Spezialkrankenhaus eingewiesen.

Langsam wird klar, dass das Militär seit langer Zeit versucht, einen Übermenschen mit paranormalen Kräften zu züchten, und dass die Atombombe gezündet worden war, weil die Experimente außer Kontrolle geraten waren. Nun wiederholen die Wissenschaftler ihre Versuche an Tetsuo, der ebenfalls übermenschliche Kräfte entwickelt und in einem Amoklauf seiner Zerstörungswut freien Lauf lässt. Erst Kaneda zusammen mit anderen Mutanten kann ihn schließlich stoppen.

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Man merkt Akira an, dass er auf einem Manga basiert und dessen komplexen Plot in zwei Stunden Film quetschen muss. Eine ganze Reihe von Nebenhandlungen werden nur kurz angekratzt (die Machtergreifung des Oberst, die politischen Intrigen, die Terroristengruppe) und einige Charaktere sind einfach nicht rund. Bestes Beispiel dafür ist Kei, Kämpferin in einer Art Guerilla-Gruppe, in die sich Kaneda verliebt und die am Ende des Films selbst zur Mutantin wird. Kei muss im Akira-Manga eine zentrale Figur gewesen sein, aber im Film sind weder ihre Motivation noch ihre überraschende Wandlung zur übermächtigen Mutantin nachvollziehbar, und auch ihr Verhältnis zu Kaneda bleibt unklar.

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Im Zentrum des Films steht die Verwandlung von Tetsuo. Er ist ein Verlierer, ein Versager (aufgewachsen in einem Waisenhaus, gehänselt und ausgestoßen) der verzweifelt darum kämpft, ein bisschen Stolz und Selbstachtung zu bewahren, indem er rivalisierende Motorradrocker zusammenschlägt. Die an ihm durchgeführten Experimente machen ihn dann endgültig zum Opfer, geben ihm aber zugleich die Macht, aus seiner Opferrolle auszubrechen und all seine Rachefantasien auszuleben: Er wird zum Amokläufer.

In blinder Wut macht sein Hass nicht einmal vor denen Halt, die in der Vergangenheit zu ihm gehalten und sein Schicksal als Außenseiter der Gesellschaft geteilt haben: Seine Freundin und Kaneda. Getrieben durch seine scheinbare Allmacht und seinen Hass verliert Tetsuo jedoch völlig die Kontrolle über seine Handlungen und sich selbst. Visualisiert wird dies durch die unkontrollierten Mutationen und das gespenstische Wachstum Tetsuos.

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Neben dieser sozialkritischen Botschaft enthält Akira auch eine Warnung vor dem unstillbaren Wissensdurst des Menschen und dem Drang, die eigenen Grenzen zu negieren. Nicht alles was technisch möglich ist, muss auch in die Realität umgesetzt werden. Denn die zum Umgang mit den eigenen Fähigkeiten notwendige Reife wächst nicht automatisch im selben Maße wie die Fähigkeiten selbst.

Da nie wirklich klar wird, was Akira eigentlich ist (ein besonders mächtiger Mutant? die Urkraft des Universums? ein Symbol für die unbegrenzten Möglichkeiten des Menschen und die davon ausgehende Gefahr?) eröffnet gerade das stark an 2001 – Odyssee im Weltraum erinnernde Ende zahlreiche Möglichkeiten der Interpretation, aber leider auch ein erhebliches Frustrationspotenzial.

Ist eine neue, höhere Lebensform entstanden (von der Kei einmal gesprochen hatte), oder gar ein neuer Kosmos, ein Paralleluniversum? Oder haben sich Tetsuo, Akira und die anderen Mutanten gegenseitig einfach zerstört und in Nichts aufgelöst? Ich kann mir keinen Reim darauf machen (vielleicht ist Akira aber auch einfach einer dieser Filme, die man mehrfach gesehen haben muss) und frage mich, ob die am Anfang des Films stehende Explosion einer Atombombe möglicherweise das eigentliche – zur Entstehungszeit des Films brandaktuelle – Thema andeuten sollte…

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Alles in allem aber ein bahnbrechender Film mit auch heute noch sehenswerten Animationen, einer anspruchsvollen Story und zeitloser Thematik. Etwas mehr Konzentration auf das Wesentliche hätte ihm zwar gutgetan und beim Ende habe ich mich etwas alleingelassen gefühlt, aber dennoch absolut sehenswert.

Die zehn japanischen Filme, die Japaner Ausländern empfehlen würden:

  1. It€™s Tough Being a Man (Tora-san Reihe) von Yoji Yamada
  2. Die Sieben Samurai von Akira Kurosawa
  3. Mein Nachbar Totoro von Hayao Miyazaki
  4. Bushi no Ichibun von Yoji Yamada
  5. Grave of the Fireflies von Isao Takahata
  6. Always – Sunset on Third Street von Takashi Yamazaki
  7. Nausicaä aus dem Tal der Winde von Hayao Miyazaki
  8. Letters from Iwo Jima von Clint Eastwood
  9. Dororo von Akihiko Shiota
  10. Death Note von Shusuke Kaneto

Besonders bemerkenswert finde ich, dass Letters from Iwo Jima von vielen Japanern offenbar als genuin japanischer Film betrachtet wird, obwohl er von einem amerikanischen Regisseur gedreht und von einem Hollywood-Studio produziert wurde. Ein größeres Kompliment konnte „Dirty Harry“ wohl kaum gemacht werden!

Interessant auch, dass alle drei genannten Anime aus dem Studio Ghibli stammen. Und die SPitzenposition ist für mich mal wieder ein Ansporn, endlich auch Filme von Yamada und besonders die Tora-san-Filme anzuschauen. Scheint wirklich eine Bildungslücke zu sein…

Die komplette Übersicht bietet auch noch geschlechtsspezifische Auswertungen, die Frauen nennen auch noch Spirited Away, die Männer Rashomon.

Falls jemand das Post zum Kurosawa-Essay sucht: Hier gehts lang.

Und falls sich jemand wundert, wieso dieser alte Beitrag die letzten Tage plötzlich wieder ganz oben stand: Freitag habe ich den Kurosawa-Vortrag für die DJG Oldenburg gehalten und wollte etwaigen am Essay interessierten Zuhörern das Suchen im Blog ersparen, weshalb mal das Adhesive-Plugin zum Einsatz kam.

Im Rahmen der Veranstaltung der DJG in Oldenburg bin ich auch einer wahren Heldin begegnet, und zwar einer netten jungen Dame des lokalen Radiosenders, die mit mir mein erstes Radiointerview machte (und deren Namen ich beschämenderweise wieder vergessen habe). Die hatte sich doch tatsächlich auf ein 5-minütiges Interview mit einem völlig unbedeutenden Fan japanischer Filme vorbereitet und wusste sogar, dass Kurosawa sehr viel mehr Drehbücher schrieb, als er Filme drehte! Die Erinnerung an dieses Interview rüht mich jetzt noch zu Tränen und lässt mich hoffen, dass unsere Medien vielleicht doch noch zu retten sind.

Teil I zu Anime vor 1960 lesen

Toei Doga, das führende japanische Animationsstudio zu Anfang der 1960er Jahre, musste erkennen, dass seine Adaptionen traditioneller asiatischer Sagen und Legenden international nicht zu vermarkten waren. Deshalb änderte das Studio seine Strategie und griff nun auch auf westliche Erzählungen (Gulliver€™ s Travels beyond the Moon) und Sci-Fi-Mangas zurück: Cyborg 009 von Shotaro Ishinomori wurde 1966 ein riesiger Erfolg, auf den eine Fortsetzung und eine TV-Serie folgten.

Spezialist für TV-Serien war jedoch Mushi Pro, das Studio des „Manga no Kamisama“ Osamu Tezuka, dessen Manga Astro Boy in 193 Episoden für das Fernsehen umgesetzt wurde. Tezuka war seit den früher 1950er Jahren der erfolgreichste Manga-Zeichner überhaupt und revolutionierte durch seinen dynamischen, filmische Elemente aufgreifenden Stil (dramatische Blickwinkel, Wechsel von Totalen und Detailansichten) die bisher hauptsächlich auf statischen Bildern basierende Manga-Welt. Auch die heute für Manga und Anime typischen großen Augen der Charaktere gehen auf Tezuka zurück.

Mit der wachsenden Beliebtheit der TV-Serien Ende der 1960er Jahre begannen sich dann auch erste Genres herauszubilden: Sally the Little Witch war die erste speziell für Mädchen konzipierte Serie, Princess Knight die erste romantische Serie für Mädchen (shojo) und Tomorrow€™s Joe die erste Sportserie für Jungs. 1969 wurde dann die erste Folge von Sazae san ausgestrahlt, einer Comedy-Serie für Hausfrauen, die bis heute ununterbrochen produziert wird! In diesem Umfeld kam auch erstmals der Begriff Anime auf, eine Verkürzung des englischen „animation“.

Während der 70er Jahre waren TV-Serien das dominierende Format, das sich zunehmend nicht nur an Kinder sondern auch an Jugendliche und Erwachsene wandte und sich dazu vor allem Science-Fiction Geschichten bediente, aus denen sich ein neues Genre um gigantische Roboter (mecha) entwickelte. Die erste derartige Serie war Mazinger Z, von der ab 1972 in fünf Jahren 222 Folgen produziert wurden. Ende der 70er Jahre existierten nicht weniger als 40 Mecha-Serien sowie zahlreiche weitere Sci-Fi Abenteuer-Serien wie Space Battleship Yamamoto oder Galaxy Express 999.

Die zu dieser Zeit entstandenen Spielfilme waren überwiegend Spin-Offs der populärsten TV-Serien (Galaxy Express 999 oder die Lupin III-Reihe), die sich in immer neuen Genres ausdifferenzierten. Einige Künstler wie Rintaro, Isao Takahata und insbesondere Hayao Miyazaki, waren nach der Realisierung von Spielfilmen mit der Arbeit an Serien allein aber nicht mehr zufrieden. Sie begannen Anfang der 1980er Jahre, neue Maßstäbe in der Adaption von Mangas für die Kinoleinwand zu setzen.

Der grandiose Erfolg von Miyazakis Nausicaä aus dem Tal der Winde ermöglichte 1985 die Gründung des Studio Ghibli, das sich seitdem unter der Leitung von Miyzaki und Takahata ganz der Produktion von abendfüllenden Spielfilmen widmet. Meilensteine des Studios, das besonders für seine unermüdliche Perfektionierung handgemalter Filme bekannt ist, waren Filme wie Hotaru no haka, Porco Rosso und Mononoke Hime.

Für die gestiegene internationale Bekanntheit der Anime war jedoch der Erfolg eines Films entscheidend: Akira. Dem 1988 gezeigten, unter der Leitung von Katsushiro Otomo auf der Basis seines eigenen Manga entstandenen Film gelang es dank seiner düsteren, sozialkritischen Geschichte und der perfekten Animation erstmals, auch im Westen ein erwachsenes Publikum zu begeistern. Ähnlich einflussreich war der ebenfalls Sci-Fi-Themen aufgreifende Ghost in the Shell von 1995.

Die Weiterentwicklung und zunehmende Reife von Computergrafiken ermöglichte seit den späten 1990er Jahren zwei neue Entwicklungen: Zum einen die Verwendung von computergenerierten 3D-Grafiken in Animes, die ein komplett neues Seherlebnis und eine hyper-realistische Repräsentation, wie etwa in Robotic Angel, ermöglichte. Zum anderen aber auch die Adaption von ursprünglich aus Computerspielen hervorgegangenen Figuren und Geschichten. Prominentestes Beispiel dafür ist die Pokemon-Reihe.

In der jüngeren Vergangenheit gab es eine Tendenz zu kürzeren TV-Serien mit nur etwa 10-20 Folgen, die auf spektakuläre CGI-Bilder und komplexe Erzählkonstruktionen setzten, wie etwa Texhnolyze oder Serial Experiments: Lain. Und auch bei den Spielfilmen werden neue Akzente gesetzt, beispielsweise durch Newcomer Satoshi Kon, Protegé des Akira-Schöpfers Otomo, der mit Filmen wie Tokyo Godfathers und Sennen joyu dazu beitrug, dass sich Anime auch jenseits des Sci-Fi-Genres weiterentwickeln.